"Ruhe bitte, ich bin verrückt"

TRIER. Vermutlich brachte seine psychische Erkrankung gestern den vierfachen Familienvater dazu, seinen Sohn gegen den Willen der Mutter bei sich in der Wohnung zu behalten. Gewalttätig wurde er nicht. Aber Polizei und Rettungskräfte waren für den Ernstfall gerüstet.

Mit einem kurzen Nicken grüßen die Fahrer der schweren Wagen mit den dunkel getönten Scheiben und den auswärtigen Kennzeichen ihre Kollegen aus Trier und passieren deren Straßensperre auf Höhe des ehemaligen Edeka-Markts ungehindert. "Ich will doch auch nur zu meinem Haus", beschwert sich eine junge Frau, die ihre Einkäufe im von der Sonne aufgeheizten Kofferraum hat. "Es tut uns leid, aber die Straße ist komplett gesperrt", antwortet der ältere Polizist, der mit seiner tropfenförmigen Sonnenbrille und der tief ins Gesicht gezogenen Dienstmütze ein bisschen so aussieht, als wolle er in einem Hollywood-Streifen mitspielen. Auch Fahrradfahrer und Fußgänger haben keine Chance. Die Polizisten lassen niemanden vorbei. Am oberen Ende der Olewiger Straße sorgen Polizisten in Zivil dafür, dass niemand das abgeriegelte Terrain betritt. Es ist gespenstig ruhig. Die junge Beamtin packt ein Fleischwurstbrötchen aus. Es scheint, als bereiten sich die jungen Polizisten auf einen längeren Einsatz vor. Wenige hundert Meter weiter unten in der Olewiger Straße kauert derweil ein Mann auf dem Dachfirst seiner Wohnung. Seinen fünfjährigen Sohn haben Spezialkräfte der Polizei kurz vorher aus der Wohnung geholt; in einem Moment, als der Vater für kurze Zeit in einem anderen Raum war. Seit dem frühen Vormittag hatte der 47-jährige Angolaner R. seinen jüngsten Sohn bei sich. Gegen den Willen der Mutter, die ihren Sohn mitnehmen wollte, als sie am Morgen die Wohnung nach einem Streit mit ihrem Mann verließ. Was sie an diesem Tag erwarten würde, ahnte die Anfang 40-Jährige wohl, als sie vom Olewiger Kindergarten aus, den ihr Sohn normalerweise besucht, telefonisch Hilfe herbeirief. Schließlich habe ihr Mann vor zweieinhalb Jahren schon einmal nach einem Streit die beiden jüngsten Kinder in seiner Gewalt gehabt, erzählt Dorothee Carl, die der Familie aus Angola vor sechs Jahren die obere Wohnung in ihrem Haus vermietet hat. "Unsicher hat er da auf dem Dach gewirkt", erzählt Peter Terges, der schräg gegenüber wohnt, später. "Immer gleich so viele Polizisten", habe der Angolaner gesagt, sagt ein anderer Nachbar. Nach zwei Stunden hat das Spezialkommando der Polizei es geschafft, das Zureden des Polizeipsychologen durch die Dachluke zeigt Wirkung: R. klettert durch das Lukenfenster in seine Wohnung. Später führen ihn drei Polizeibeamte, die den schmalen Mann im roten T-Shirt jeweils um einen ganzen Kopf überragen, aus dem Haus zum Einsatzwagen. "Der R. hat ja schon lange psychische Probleme", erzählt Dorothee Carl. "Irgendwie ahnte ich, dass es diesmal wieder besonders schlimm wird", sagt die Vermieterin der Familie. Mehrmals sei der Vater schon in psychiatrischen Kliniken gewesen. Aber den Medikamenten, die die Ärzte ihm verordneten, hätte er nie getraut. "Sein ältester Sohn kam vor einigen Tagen zu mir und sagte, der Papa habe die Tabletten in den Müll geworfen", sagt Dorothee Carl. Laute afrikanische Musik, ein Zettel an der Wohnungstür mit den Worten "Ruhe bitte, ich bin verrückt" - die Anzeichen seien immer deutlicher geworden. "Am Sonntag habe ich dann bei der Polizei angerufen und Bescheid gesagt." Die Adresse eines Psychologen hätte sie haben wollen. Oder dass die Polizei mal nach dem Rechten schaut. "Aber am Telefon hat man mir nur gesagt, dass die Polizei erst eingreifen könne, wenn tatsächlich was passiert."

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