"Schande über euch"

Paris · Zehn Jahre nach dem Tod zweier Jugendlicher in der Pariser Vorstadt Clichy-sous-Bois sind zwei Polizisten freigesprochen worden, die sich wegen unterlassener Hilfeleistung verantworten mussten. Die Angehörigen der Opfer kritisierten die Straffreiheit für die Polizei.

Paris. Die Bilder gingen vor zehn Jahren um die Welt: In Frankreichs Problemvorstädten brannte es nach dem Tod zweier Jugendlicher. Drei Wochen lang rebellierte die Jugend der "Banlieue" im Herbst 2005, nachdem Zyed Benna und Bouna Traoré am 27. Oktober in einem Transformatorenhäuschen des staatlichen Stromkonzerns EDF durch Stromschläge starben.
Die beiden 15 und 17 Jahre alten Jungen aus Einwandererfamilien hatten sich nach einer Verfolgungsjagd mit der Polizei in Clichy-sous-Bois bei Paris dorthin geflüchtet. Die beiden Polizisten, die das Geschehen verfolgten, mussten sich jetzt wegen unterlassener Hilfeleistung verantworten - und wurden am Montag freigesprochen.
"Die Jugendlichen aus der Vorstadt werden nur schwer als Opfer anerkannt", kritisierte der Anwalt der Zivilkläger, Jean-Pierre Mignard, den Richterspruch. "Das ist ein soziales Problem, das sich da zeigt." Die Angehörigen der Opfer hatten vergebens darauf gehofft, dass die beiden Angeklagten, die seit März vor einem Strafgericht in Rennes standen, ihre Fehler zugeben.
"Die Gleichgültigkeit all dieser Beamter ist genau das Drama dieses Falls", bemerkte Mignards Kollege Emmanuel Tordjman. "Schande über euch", rief der Bruder von Zyed, Adel Benna, den beiden Polizisten nach dem Urteil beim Verlassen des Gerichtssaals hinterher. "Ich bin angeekelt und enttäuscht. Die Polizei bleibt straffrei."
Umstrittener Funkspruch


Dass zumindest einer der beiden Polizisten die Notsituation der Jugendlichen erkannt hatte, zeigt ein Funkspruch: "Wenn sie auf das EDF-Gelände gehen, gebe ich nicht mehr viel auf ihr Leben", funkte der Beamte Sébastien Gaillemin am 27. Oktober an seine Kollegen. Er sah, wie Zyed und Bouna Richtung Trafo-Häuschen über einen Zaun kletterten. Doch weder die mitangeklagte Praktikantin noch seine anderen Kollegen reagierten auf den Hinweis. Vor Gericht sagte Gaillemin aus, dass er die Todesgefahr der beiden Jugendlichen nicht erkannt habe.
Der Polizei wird schon lange vorgeworfen, die Bewohner der Banlieue zu drangsalieren. So sind beispielsweise die Polizeikontrollen umstritten, bei denen die Beamten auffällig viele schwarze oder arabischstämmige Jugendliche herausgreifen. Während des Prozesses wurden auch Jugendliche befragt, die zusammen mit Zyed und Bouna auf der Straße waren. Auf die Frage, warum sie vor der Polizei geflohen seien, antwortete einer von ihnen: "aus Angst".
Der Prozess lenkte den Blick wieder auf die französischen Problemvorstädte, aus denen auch die Verantwortlichen der islamistischen Anschlagserie im Januar kamen. Schon seit Jahren versuchen die wechselnden Regierungen, mit Programmen zur Kriminalitätsbekämpfung und zur Förderung der Jugendlichen die Banlieue nicht zu einem Ghetto werden zu lassen.
Hohe Armut in "Banlieue"



Doch in den Wohnsiedlungen am Rande der Großstädte, in denen viele Einwandererfamilien wohnen, sind Arbeitslosigkeit, Kriminalität und Armut überdurchschnittlich hoch. Dass es nach dem Urteil neue Unruhen geben könnte, glaubt Samir Mihi vom Verein Au delà des mots, der die Opferfamilien unterstützt, nicht. "In Clichy-sous-Bois wird nichts passieren. Hört auf, unser Viertel schlechtzumachen."

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