"Schlammschlacht bis ins Schlafzimmer"

TRIER. Er wurde gefeiert wie ein Messias: Oskar Lafontaine sorgte für kräftige Farbtupfer bei der ansonsten eher biederen und mit wenig charismatischen Persönlichkeiten gesegneten WASG Rheinland-Pfalz. Und ganz nebenbei half er der Parteitagsregie in Trier, einige heikle Entscheidungen erfolgreich einzutüten.

Die Nervosität ist fast mit Händen zu greifen, nicht nur im verqualmten Vorraum des NH-Hotels, wo die Delegierten hastig an ihren Kippen ziehen und in kleinen Gruppen diskutieren, wie der Parteitag wohl laufen wird. Vorne wieselt der umtriebige WASG-Landesvorsitzende Alexander Ulrich hin und her, zieht die letzten Strippen. Und auf dem Gang nebenan raunen sich ein paar Aufständische zu, wie sie nachher noch mal richtig auf die Pauke hauen wollen. Es geht immerhin um einiges. Seit die Linke mit Karacho in den Bundestag einzog, ist die Landtagswahl viel mehr geworden als eine Pflichtübung für demonstrative Fundamental-Opposition. Es geht um Macht, um Posten, aber auch reale Gestaltungsmöglichkeiten. Da halten die Gesetzmäßigkeiten der Politik schnell Einzug ins linke Solidaritäts-Idyll. Von "Unterstellungen und Verleumdungen" im Vorfeld der Nominierung, von "Gemeinheiten und Feigheiten", ja sogar von einer "Schlammschlacht bis ins Schlafzimmer" wird die stellvertretende Landesvorsitzende Margot Gudd später reden, bevor sie ihren "lieben Mitstreiterinnen und Mitstreitern" den Bettel vor die Füße wirft und ihre Spitzenkandidatur krachend zurückzieht. Aber zu diesem Zeitpunkt hat "Oskar", wie ihn hier alle nennen, längst dafür gesorgt, dass der Wahlparteitag nicht aus dem Ruder läuft. Wie ein Messias ist er eingezogen, rasch umsäumt von linken Autogrammsammlern und Foto-Erhaschern. In der Reihe hinter ihm bricht ein kleiner Wettbewerb um die Frage aus, wer ihn am längsten kennt. Vorne am Rednerpult grüßt ergeben der PDS-Landesvorsitzende, der Sätze spricht wie "Die Augen der gesamten Linken in Deutschland sind heute auf Trier gerichtet" - was man halt so sagt, wenn man die Schäfchen unter allerlei Verweisen auf die "historische Stunde" bei der Herde halten will. Aber das wäre alles nicht nötig. Oskar macht das schon. 40 Minuten spricht er, der begnadete Rhetoriker und Polemiker, und jeder Satz ist Balsam auf die Seelen der Genossen. "Wir waren es doch, die Schwarz-Gelb verhindert haben", ruft er emphatisch, "ohne uns wäre das solidarische Gesundheitssystem weg, ohne uns wäre die SPD bei den Nachschicht- und Feiertagszuschlägen umgefallen, ohne uns wären die Rechten im Osten in den Parlamenten." Unter der Rettung der Welt tut es Lafontaine selten. Er ist umstellt von "neoliberalen Eseln" mit "vermatschten Hirnen", von "Wahlbetrügern" und "Sprachverseuchern", von inkompetenten Politikern und ahnungslosen Journalisten. Alles muss er selber machen, und mit ihm das kleine Häuflein aufrechter Linker. "Ihr seht, wie gigantisch unsere Aufgabe ist", sagt er ein halbes Dutzend Mal. Wer unter den versammelten Kolleginnen und Kollegen mag da noch all zu spalterische Debatten über Listenaufstellungen führen? Lafontaine besitzt immer noch die unnachahmliche Fähigkeit, komplizierte Sachverhalte auf einen simplen Punkt zu bringen. Etwa wenn er von der neoliberalen St.-Martin-Version erzählt, wo der Heilige nicht vom Pferd steigt, um mit dem Bettler seinen großen Mantel zu teilen, sondern stattdessen dem Armen noch den halben Lendenschurz wegnimmt, weil sein Mantel angeblich noch nicht warm genug ist. Da jauchzt die Basis, auch wenn das Anekdötchen noch kein umsetzbares ökonomisches Konzept beinhaltet. Aber es steckt eben doch einiges an Wahrheit drin, wie bei vielem, was der große Vereinfacher aus dem Saarland verkündet. Eine Aussprache über seine Thesen ist in der Tagesordnung gar nicht erst vorgesehen - warum auch, zu glanzlos würden selbst die örtlichen Spitzenleute gegen dieses Feuerwerk wirken. "Oskar hat uns eine aktive Rolle im Wahlkampf zugesagt", freut sich Alexander Ulrich. Diese Aussicht sorgt dafür, dass trotz aller Vorfeld-Malessen eine zumindest in den Spitzenpositionen wunschgemäße Einheits-Liste zustande kommt. Ob das reicht, um die Etablierten in Rheinland-Pfalz das Fürchten zu lehren, wird sich zeigen.

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