Seit 15 Jahren im Dämmerzustand

SCHMELZ. Der Tod der Amerikanerin Terry Schiavo wirft viele Fragen auf. Wie geht man mit Wachkoma-Patienten um? Wie und unter welchen Umständen können sie leben? Und wie geht es ihren Familien dabei? Der 35-jährige Udo Dickmann liegt seit 15 Jahren im Koma und wird im Elternhaus im saarländischen Schmelz bei Lebach gepflegt.

 Leben mit einem Angehörigen im Wachkoma: Mutter und Vater Ilse (links) und Bernd Dickmann, Pflegerin Marliese Schmitt. Vorne Udo Dickmann, der seit 15 Jahren im Wachkoma liegt Foto: Birgit Pfaus-Ravida

Leben mit einem Angehörigen im Wachkoma: Mutter und Vater Ilse (links) und Bernd Dickmann, Pflegerin Marliese Schmitt. Vorne Udo Dickmann, der seit 15 Jahren im Wachkoma liegt Foto: Birgit Pfaus-Ravida

Udo Dickmann lacht. Seine Augen sind geradeaus gerichtet, seine Hände verkrümmt, seine Füße stecken in Wollschuhen. Aufrecht sitzt er in seinem gepolsterten Rollstuhl. Seine Mutter Ilse streicht ihm über das kurze, graue Haar. "Wenn er lacht, will er nicht ins Bett", sagt sie und lächelt. Udo habe seine ganz eigene Art, sich den Menschen mitzuteilen.Schwerer Unfall am Förderband

Fotos von früher zeigen einen schlanken, jungen Mann mit dunklem Haar und Schnauzbart. Das Wachkoma - ein Schicksalsschlag, der das Leben der ganzen Familie für immer veränderte, als Udo knapp 20 Jahre alt war. Damals arbeitete er in dem Stahlbaubetrieb Dillinger Hütte. Am Förderband kam es zu dem folgenschweren Unfall: "Udo geriet ins Band, und weil der Geselle in Panik weglief, anstatt Hilfe zu holen, steckte Udo lange fest - keiner weiß, wie lange genau", erzählt Vater Bernd. Endlich fand ihn ein weiterer Mitarbeiter, und der Bewusstlose wurde in die Uniklinik nach Homburg gebracht. "Wir durften nicht zu ihm, wussten nur, dass es ernst war", erinnert sich die Mutter, und noch heute ringt sie bei diesen Worten mit der Fassung. Durch den etwa 20-minütigen Herzstillstand war das Gehirn lange nicht mit Sauerstoff versorgt worden. Udo wurde künstlich beatmet. Von Anfang an waren seine Augen offen. Nach sechs Wochen in Homburg kam der Komapatient nach Dillingen ins Krankenhaus. "Dort wurde er wieder nur aufbewahrt, es gab keine Reha-Maßnahmen", sagt die Mutter. Endlich bekamen die Eltern einen Therapieplatz in einer Klinik im Odenwald. Dort lernte Udo, ohne Kanüle zu atmen. Während dessen ließen die Eltern das Zuhause in Schmelz komplett umbauen. Unterstützt wurden sie finanziell von der Berufsgenossenschaft, und auch im Verband "Schädel-Hirnpatienten in Not" wurden sie Mitglieder. "Unser Sohn sollte nicht ins Heim. Wir wollten ihn in der Familie haben", sagt der Vater mit fester Stimme. Schon in der Zeit, in der Udo im Odenwald therapiert wurde, lebte die Mutter dort in einer Pension, um in der Nähe zu sein, während der Vater 220 Kilometer entfernt zu Hause arbeitete. Man sah sich nur an den Wochenenden. "Es war eine harte Zeit", sagt Bernd Dickmann. Auch heute ist alles anders als in anderen Familien. Rund um die Uhr wird Udo in der separat für ihn eingerichteten Wohnung abwechselnd von fünf Pflegerinnen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes versorgt. "Sie gehören schon mit zur Familie", sind sich die Dickmanns einig, und Pflegerin Marliese Schmitt fügt hinzu: "Ich kenne Udo inzwischen so gut, dass ich genau weiß, was er braucht." Den 35-Jährigen zu versorgen, ist Knochenarbeit. Aus dem Bett, in den Stuhl, in die Liege-Dusche, zwischendurch immer Gymnastik mit Udo machen, um die Muskeln zu entspannen. Die Eltern können immer zu ihm, führen aber sonst ein "normales" Leben. "Es ist wichtig, dass ich zum Beispiel mal mit einer Freundin wegfahren kann - als Ausgleich", sagt die engagierte Mutter Ilse. Familie hält noch stärker zusammen

"Zu Beginn waren wir sehr verbittert. Warum er? Warum wir?", erinnert sich der Vater. Doch er habe auch gemerkt, dass die Familie viel stärker zusammenhielt, als das ohne den Schicksalsschlag wohl der Fall gewesen wäre. "Udo lebt. Bei uns. Er hat riesige Fortschritte gemacht, seit er zu Hause ist", bekräftigt der Vater. Um so schlimmer war es für die Dickmanns, den Fall Schiavo im Fernsehen zu verfolgen. "Sie einfach verhungern und verdursten zu lassen! Wir sehen es doch an Udo: Das ist ein Mensch, zu dem man Kontakt hat! Der etwas mitkriegt vom Leben um sich herum!" Essen kann Udo nur weiche Dinge, trinken muss er durch eine Magensonde - "das ist schonender", erklärt Pflegerin Marliese Schmitt. Abends bekommt Udo Medikamente, die seine Muskeln lockern. Die Mutter nimmt Udos Hand und streichelt sie. "Nur die Hände entspannen sich nie. Als ob Udo irgend etwas festhalten will." Birgit Pfaus-Ravida

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