"Situation ist unerträglich"

TRIER/KELBERG. Das Landgericht (LG) Trier lenkt ein: Der Missbrauchsprozess um Fälle aus einem Dorf in der Verbandsgemeinde Kelberg (Kreis Daun) wird nun doch rasch wiederaufgenommen. Wegen formaler Fehler sollte sich die Fortführung des Prozesses um Monate verzögern. Derweil muss eines der Opfer nach wie vor Tür an Tür mit seinem Peiniger leben.

Der Aktenberg um den Fall "Az 8007 Js 3372/02" wird immer höher. Schon im Februar 2002, als die betroffenen Familien der sieben missbrauchten Jungen Anzeige erstatteten, wurde gegen den heute 64-jährigen Rentner aus einem Dorf in der Verbandsgemeinde Kelberg Haftbefehl erlassen, aber noch am gleichen Tag gegen Auflagen außer Vollzug gesetzt. Das ist bis heute so. Er ist der unmittelbare Nachbar eines seiner Opfer. "Das führt permanent zu unerträglichen Situationen. Unser Sohn leidet immens darunter", beschreibt die Mutter des missbrauchten Jungen ihren Alltag. Die Familie fühlt sich vom deutschen Rechtssystem verschaukelt. Grund: Obwohl der Sexualstraftäter vor einem Jahr zu sechs Jahren und drei Monaten Haft verurteilt wurde, bleibt er auf freiem Fuß. Er hatte Revision eingelegt, bis zur Entscheidung ist das Urteil nicht rechtskräftig. Der Bundesgerichtshof (BGH) bestätigte zwar alle 22 Fälle aus den Jahren 1994 bis 2000, wies dem LG aber in drei Fällen Fehler nach. Es hatte das falsche Alter eines Jungen im Urteil angegeben. Weil aber aus allen 22 Einzelstrafen ein Gesamturteil gebildet wurde, muss für diese drei Fälle, die nicht den Nachbarjungen betreffen, ein neues Strafmaß festgesetzt werden. Dafür braucht die Vorsitzende Richterin Irmtrud Finkelgruen aber ein psychologisches Gutachten (der TV berichtete). Weil dieser Junge den Gang zum Gutachter bisher ablehnte, wurde die Kripo auf den Plan gerufen. Bisher ohne Erfolg. LG-Sprecher Armin Hardt: "Es gibt keine Zwangsmittel, den Jungen zum Gutachter zu bringen." Deshalb erwäge die Erste Große Strafkammer, diese drei Fälle abzutrennen und für Dezember eine neue Hauptverhandlung anzusetzen. Dann würde für die verbleibenden 19 Taten auf der Grundlage der bereits abgeschlossenen Verhandlung ein neues Gesamturteil gebildet. Normalerweise würde abgewartet, bis der vom Gutachter vorgeladene Junge Einsicht zeige. Hardt: "Uns ist aber die Situation vor Ort bekannt, und sie ist für die Betroffenen unerträglich." Der Rechtsanwalt des Jungen bringt die Situation auf den Punkt: "Der Fall zeigt als Paradebeispiel die Lücken unseres Rechtsstaates auf, die ein Täter weidlich ausnutzen kann." Mittlerweile ist auch das ZDF auf den Fall aufmerksam geworden und will diese Woche einen Bericht drehen.

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