"So langsam beginnt das Kribbeln im Bauch"

Am Mittwoch fängt in Rheinland-Pfalz eine neue politische Ära an. Mit der Triererin Malu Dreyer wird erstmals eine Frau das Land regieren, Ministerpräsident Kurt Beck nimmt nach 18 Jahren an der Spitze seinen Hut. Die TV-Redakteure Frank Giarra und Rolf Seydewitz haben die beiden prominenten Sozialdemokraten zum Interview im Gästehaus der Landesregierung getroffen.

Frau Dreyer, sind Sie aufgeregt oder nervös vor Ihrem großen Tag, an dem Sie als fünfte Frau in Deutschland Ministerpräsidentin werden?
Dreyer: Es wird jetzt schon aufregender. Vor Weihnachten war der Termin noch in weiter Ferne, und jetzt steht die Wahl kurz bevor. Die Aufregung steigt.
Wie macht sich das bemerkbar?
Beck: Kribbeln im Bauch.
Dreyer: Ja, Kribbeln im Bauch.
Können Sie sich überhaupt noch daran erinnern, Herr Ministerpräsident?
Beck: Ja. Bei mir hat es ja lange gedauert. Ich war so lange designierter Ministerpräsident, das war ja das Unwort meines Lebens. Es ging mir ähnlich wie Malu. Ich habe ein paar Nächte vor der Wahl schlecht und wenig geschlafen.
Dreyer: Da habe ich gegenüber dem Ministerpräsidenten einen Vorteil. Ich schlafe immer gut. Selbst in Krisenzeiten kann ich gut schlafen.
Wie fühlen Sie sich denn, Herr Beck? Traurig? Wehmütig? Froh?
Beck: Ein bisschen Melancholie schleicht sich ein, etwa wenn ich denke: Dieses hast du jetzt das letzte Mal gemacht. Beispielsweise vor ein paar Tagen, als die Sternsinger in die Staatskanzlei kamen. Ich habe mich jedes Mal gefreut, wenn die Kinder da waren und Leben in die Bude gebracht haben.
Was macht Sie im Rückblick auf Ihre langjährige Amtszeit am meisten stolz?
Beck: Ich würde lieber den Begriff zufrieden wählen. Ich bin sehr zufrieden damit, wie wir das Bildungssystem vorangebracht haben und sich Rheinland-Pfalz wirtschaftlich entwickelt hat - gerade angesichts der großen Herausforderung des Abzugs vieler ausländischer Streitkräfte.
Was war Ihre größte Schlappe oder Enttäuschung?
Beck: Menschliche Enttäuschungen habe ich in der Endphase meiner Zeit als SPD-Bundesvorsitzender erlebt. Und in meiner Zeit als Ministerpräsident nur ganz wenige, die auch nicht bedeutend sind. Ich hätte gerne mehr im administrativen Bereich bewegt, aber das ist unendlich schwierig. Der Apparat ist sehr beharrend. Wir hatten die Zahl der Verwaltungsvorschriften mal von 1300 auf 700 reduziert. Aber das wächst dann wieder, und dann bekomme ich erzählt: Das ist wegen Europa.
Dreyer: Was oft auch stimmt.
Beck: Und natürlich ärgert mich die Nürburgring-Geschichte, weil sie nicht so gelaufen ist, wie ich mir das gewünscht hätte. Aber in der Gesamtbedeutung wird sie maßlos überbewertet.
Hand aufs Herz: Wann haben Sie zum ersten Mal darüber nachgedacht, dass Malu Dreyer die richtige Nachfolgerin wäre?
Beck: Nachgedacht schon vor elf Jahren, als ich Malu Dreyer als Ministerin ins Kabinett geholt habe. Bei einem Treffen mit unseren Ehepartnern im vergangenen Sommer hat sich das konkretisiert, als mir Malu von ihrer Lust an der Arbeit und der Stabilisierung ihrer gesundheitlichen Situation erzählt hat.
Zuvor waren ja eher Roger Lewentz, Hendrik Hering und Doris Ahnen im Gespräch.
Beck: Zu Recht, weil die drei Kollegen auch die Fähigkeiten dazu haben.
Nun geben Sie nach dem Parteivorsitz auch das Amt des Ministerpräsidenten ab. Was macht Kurt Beck denn in Zukunft?
Beck: Nach dem Tod von Peter Struck werde ich zunächst kommissarisch den Vorsitz der Friedrich-Ebert-Stiftung übernehmen. Wenn sich meine Gesundheit stabilisiert, würde ich die Aufgabe auch gerne dauerhaft übernehmen.
Das ist aber auch ein anstrengender Job …
Beck: Ja, aber es ist ein reines Ehrenamt, die Stiftung hat ja einen hauptamtlichen Geschäftsführer.
Sind Sie dann künftig wieder ständig in Berlin?
Beck: Nein. Die Arbeit für die Stiftung erledige ich teilweise von meinem Büro in Steinfeld aus. Und ich bin ab und zu in Berlin oder Bonn. Die Friedrich-Ebert-Stiftung sitzt ja in 109 Ländern …
Da können Sie ja schön durch die Weltgeschichte fliegen …
Beck: Das werde ich sicher nicht tun. Allenfalls ab und an, wenn es notwendig ist. Wer mich kennt, weiß, dass ich nicht gerne reise.
Dreyer: (lacht) Das ist doch eine überraschende Nachricht, oder!?
Beck: Einige Kollegen wissen das. Ich bin so wenig wie möglich gereist.
Haben Sie Flugangst?
Beck: Nein. Ich kann sogar im Hubschrauber schlafen. Die Packerei und das alles mag ich nicht. Aber wenn ich am Ziel bin, ist das okay. Ich reise halt nicht gerne.
Als Ministerpräsident sind Sie ja bestens beschützt, haben Leibwächter, Fahrer und sonstige Mitarbeiter. Wie wird das denn in Zukunft sein? Müssen Sie selbst fahren?
Beck: Das ist so wie bei meinen Vorgängern im Amt. Bei dienstlich veranlassten Fahrten wird ein Fahrer zur Verfügung gestellt. Und für die Eigennutzung des Fahrzeugs muss ich zahlen. Die alte Sicherheitsstufe läuft die nächsten Monate noch weiter. Dann entscheidet das Landeskriminalamt, wie es weitergeht.
Und bei Ihnen, Frau Dreyer?
Dreyer: Das lief langsam an. Die Polizei hat sich meine Termine angeschaut und gesagt, bei dem und dem Termin sind wir schon mal dabei. Ich konnte mich also dran gewöhnen. Die Kollegen sind wirklich unsichtbar.
Beck: Viele unserer Sicherheitsbeamten kommen übrigens aus der Region Trier.
Mit Blick auf Ihren Amtsantritt am Mittwoch: Wovor haben Sie denn den größten Bammel, Frau Dreyer?
Dreyer: Bammel ist das falsche Wort. Aber der Erwartungsdruck ist enorm. Kurt Beck hat große Fußstapfen hinterlassen. Und die Bürger erwarten natürlich zu Recht, dass sie gut weiterregiert werden. Eine große Herausforderung wird ganz sicher die demografische Entwicklung sein. Und die finanziellen Spielräume der staatlichen Ebenen werden nicht größer werden.
Wie wird sich Ihr Regierungsstil von dem Ihres Vorgängers unterscheiden?
Dreyer: Ich habe unlängst in Trier mit der nordrhein-westfälischen Ministerpräsidentin Hannelore Kraft über das Thema gesprochen. Sie sagt: Frauen verändern manchmal den Tonfall oder die Art, wie Kommunikation abläuft. Diese Erfahrung habe ich auch gemacht.
Sie auch, Herr Ministerpräsident?
Beck: Ich habe das sogar herbeigeführt.
Dreyer: Kurt Beck ist ein echter Frauenförderer.
Beck: Es ist jedenfalls noch gar nicht so lange her, da saßen überall nur Männer. Ich denke, da sind wir in Rheinland-Pfalz anderen Bundesländern ein Stück weit voraus.
Dreyer: Als ich vor elf Jahren angefangen habe, hieß es noch in vielen Gremien zur Begrüßung: Sehr geehrte Frau Dreyer, sehr geehrte Herren.
Noch einmal zum unterschiedlichen Regierungsstil …
Dreyer: Ich bin Malu Dreyer, und er ist Kurt Beck. Wir gehen die Dinge unterschiedlich an. Es stimmt auch, dass er ein anderes Temperament als ich hat, oder Kurt?
Heißt konkret?
Dreyer: Ich habe viel Energie, Kraft und Feuer. Aber Kurt haut auch zwischendurch mal auf den Tisch.
Beck: Ab und zu lasse ich die Gäule mal galoppieren. Manchmal bewusst, manchmal unbewusst.
Frau Dreyer, Sie haben bereits der CDU eine Zusammenarbeit beim Nürburgring angeboten. Warum nur bei diesem Thema?
Dreyer: Das galt nicht nur für das Thema Nürburgring. Ich habe gesagt, es gibt bestimmte wichtige Projekte, da würde ich es begrüßen, wenn wir einen Weg mit der Opposition gehen würden. Das ist zunächst einmal positiv aufgenommen worden …

… verbunden mit der Forderung, sich von der Politik Ihres Vorgängers zu distanzieren …
Dreyer: Das muss ich jetzt nicht kommentieren. Wir haben in der rot-grünen Koalition eine tragfähige Mehrheit, um unser Regierungshandeln umsetzen zu können. Und ich lade Frau Klöckner und ihre Mannschaft bei unterschiedlichen Themen ein, sich mit uns zusammenzusetzen. Das ist von meiner Seite aus zunächst ein bedingungsloses Angebot. Wir müssen im Parlament jedenfalls wieder zu einer sachlicheren Auseinandersetzung kommen.
Ihre Meinung, Herr Beck?
Beck: Ich halte es für wünschenswert, dass sich das Klima wieder normalisiert. Man kann einen Neuanfang versuchen.
Das Tischtuch zwischen Ihnen und Oppositionschefin Julia Klöckner scheint auf ewig zerschnitten zu sein …
Beck: Ich habe Frau Klöckner immer höflich behandelt. Das werde ich auch in Zukunft tun. Aber meine Erfahrungen waren teilweise negativ. Das kann ich nicht anders sagen. Deshalb ist das Kapitel für mich jetzt abgeschlossen. Aber der Versuch eines Neuanfangs ist natürlich richtig.
Frau Dreyer, als Schwerpunkte Ihrer künftigen Arbeit haben Sie die Kommunalfinanzen und die Gestaltung des demografischen Wandels benannt. Was wollen Sie anders machen als Ihr Vorgänger?
Dreyer: Der demografische Wandel ist ja ein Prozess. Es wird neue Herausforderungen und damit neue Schwerpunktsetzungen geben. Ich werde es mit anderen Herausforderungen zu tun bekommen als Kurt Beck. Das ist etwas Normales. Am Mittwoch wechselt übrigens nicht die Regierung. Von daher bleibt die rot-grüne Koalitionsvereinbarung natürlich gültig.
Warnen Sie damit schon vor allzu großen Erwartungen an Ihre erste Regierungserklärung, die Sie Ende Januar abgeben werden?
Dreyer: Ich benenne nur den realistischen Rahmen. Es ist ja nicht so, dass wir einen Neustart brauchen.
Auf was werden Sie denn als Ministerpräsidentin künftig wohl verzichten müssen?
Dreyer: Mit dem Kinogehen hat es schon in der Vergangenheit nicht immer funktioniert. Ich war im neuen James Bond, der war super. Und ich war in den Weihnachtsferien im Film "Schiffbruch mit Tiger". Aber ich mache mir keine Illusion. Jetzt heißt es erst einmal arbeiten, arbeiten, arbeiten. Aber ich kann ja auch im Amt viele Dinge machen, die sehr schön sind.
Und worauf freuen Sie sich mit Blick auf den Beinahe-Ruhestand am meisten, Herr Ministerpräsident?
Beck: Sich mal ganz spontan entscheiden zu können, wandern zu gehen oder zwei Stunden lang auf der Terrasse die Zeitung zu lesen oder auch einmal nichts zu tun.
Können Sie das überhaupt - faulenzen?
Beck: Ich hoffe es.
Dreyer: Er freut sich auf ein selbstbestimmtes Leben.
Beck: Ein paar Aufgaben habe ich ja noch. Von Hundert auf Null, das ginge bei mir nicht. Ich würde wahrscheinlich zappelig und unzufrieden werden. sey/fcg

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