EU-Kandidat scheitert Kommentar zum SPD-Parteitag: Diese Wahl war ein Warnschuss für den Vorstand
Meinung | Mainz · Die Sozialdemokraten haben am Samstag eindrücklich gezeigt, dass sie nicht mehr bedingungslos ihrem Vorstand folgen. Statt Personalfragen auszuklüngeln, sollte die SPD deshalb lieber über Inhalte diskutieren, findet unser Landeskorrespondent Sebastian Stein.
Zunächst schien alles nach Plan zu laufen. Die SPD wählte Roger Lewentz erneut zu ihrem Vorsitzenden. Dabei kam der ehemalige Innenminister zwar auf sein bislang schwächstes Ergebnis. Der Partei war es aber gelungen, Lewentz eine den Umständen entsprechende und gesichtswahrende letzte Amtszeit zu bescheren. Zugleich verschaffte sich die Führungsriege Zeit für die Klärung der Machtfrage um Lewentz‘ und Dreyers Nachfolge. Mit dem Ergebnis des vom Vorstand nominierten EU-Spitzenkandidaten verpasste der Parteitag der Führungsspitze allerdings einen Denkzettel.
Lewentz und Co. haben sich verpokert
Die Genossen hatten sich am Samstagnachmittag in Mainz für den Außenseiter Karsten Lucke und damit gegen den Vorschlag des Vorstands entschieden. Mit dem in der Partei offenbar umstrittenen Daniel Stich haben sich Lewentz und Co. verpokert. Die SPD-Spitze sollte das als Warnschuss deuten. An den Mienen der Führung auf dem Podium konnte man die Bedeutung dieser Klatsche gut ablesen. Mindestens in der Frage hatte man wohl doch nicht so tief in die Partei hineingehört, wie es Lewentz im Vorfeld immer postulierte.
Genossen polieren Wahlergebnisse auf
Und dann versuchten die Genossen ausgerechnet bei diesem Parteitag auch noch, die Wahlergebnisse durch eine neue Berechnungsmethode aufzupolieren. Lewentz kam so auf vier Prozent mehr. Als fadenscheiniges Argument nennt die SPD eine Vergleichbarkeit mit der Konkurrenz von der CDU.
Die Partei folgt nicht mehr bedingungslos
Luckes Wahl zum Spitzenkandidaten zeigt indes, dass die Partei nicht mehr bei allen Vorstandsideen bedingungslos mitspielt. Das war nicht nur der Sieg des Außenseiters, sondern auch der Sieg über die üblichen Machtmechanismen in der SPD. Und ein Fingerzeig darauf, womit die Führungsriege in Zukunft womöglich rechnen darf. Das werden Dreyer und Lewentz bei der Regelung ihrer Nachfolge berücksichtigen müssen.
Die bequeme Machtposition an der Regierung hält die Genossen seit mehr als 30 Jahren und noch immer zusammen. In den Umfragen ist die SPD in der vergangenen Woche aber auf ein historisches Tief gerutscht. Und das liegt nicht nur an der schwachen Performance der Bundes-Ampel. Der Umgang mit der Flutkatastrophe hängt auch der sonst so beliebten Ministerpräsidentin nach. Ob die SPD unter diesen Voraussetzungen noch einmal eine Aufholjagd wie bei der letzten Landtagswahl schaffen würde, ist mindestens fraglich.
Der SPD täte eine programmatische Erneuerung gut
Statt ohne Ende Personalfragen auszuklüngeln, täte es der SPD gut, sich programmatisch zu erneuern. Lediglich Parteivize Alexander Schweitzer stellte vorsichtig die Frage nach der eigenen Identität jenseits der Abgrenzung von CDU und AfD. Dass die SPD mit ihm als nächstem Parteichef längst einverstanden wäre, hat sie am Samstag mit dem wiederholt besten Wahlergebnis gezeigt.