Sprachrohr der verletzten Seele

TRIER. Bei Familienstreitigkeiten vor Gericht werden häufig die Interessen der Kinder kaum berücksichtigt. Während sich die Eltern durch Anwälte vertreten lassen, haben die Kinder keinen Beistand. Der Sozialdienst Katholischer Frauen (SKF) und der Caritasverband für die Region Trier bieten eine Verfahrenspflegschaft an.

"Ich will bei dir bleiben. Du brauchst mich doch, Mama." Laura (Name geändert) hat Tränen in den Augen. Ihre Eltern wollen sich scheiden lassen. Ihr Vater ist schon vor einem Jahr ausgezogen. Die Zehnjährige wohnt bei ihrer Mutter. Noch. "Das Beste für dich wäre, wenn du zu deinem Vater ziehen würdest", hat ihr der Mann von der Caritas gesagt. Ihre Mutter ist nämlich Alkoholikerin. Deswegen ist Lauras Vater ausgezogen, deswegen auch die Scheidung. Demnächst ist der Gerichtstermin, dann wird entschieden, wer das Sorgerecht für Laura bekommt. Die Richterin hat angeordnet, dass Lauras Interessen von einem Verfahrenspfleger vertreten werden. Er ist quasi Anwalt des Mädchens. Er muss nicht nur die Interessen Lauras vertreten, sondern sich auch für ihr Wohl einsetzen. Was ist das Beste für sie? Gegen Lauras Willen zu ihrem Vater zu ziehen oder bei ihrer schwer kranken Mutter zu bleiben? "Wer guckt denn dann, ob sie immer den Herd ausmacht? Sie braucht mich doch", meint die Zehnjährige. Der Richter wird letztlich entscheiden. "Die Verfahrenspfleger müssen abwägen zwischen dem, was das Kind will und dem, was das Beste für es ist", erklärt Helga Göler vom SKF in Trier. Zusammen mit dem Caritasverband bietet der SKF Verfahrenspflegschaften an. "Die Eltern sind vor Gericht immer durch Anwälte vertreten. Die Wünsche und Vorstellungen der Kinder wurden aber bisher nur bei der richterlichen Anhörung berücksichtigt, ohne dass jemand wirklich Partei für sie ergreift", erklärt Monika Petry, Leiterin der SKF-Beratungsstelle in Trier. Die Kinder werden dann zu Verfahrensbeteiligten genauso wie die Eltern. Ein Verfahrenspfleger ist das Sprachrohr der Kinder. Während des Verfahrens tritt er an die Stelle des gesetzlichen Vertreters des Kindes. Vor allem bei schwierigen Familienrechtsprozessen werden die Pfleger von den Richtern bestellt. In Fällen, in denen es um Missbrauch oder Vernachlässigung geht, sind sie Pflicht. Bei Verfahren, um Sorgerecht kann der zuständige Richter einen Verfahrenspfleger anordnen. "Die Pfleger haben die gleichen Rechte wie ein Anwalt", erklärt Harald Herres vom Caritas-Verband. Konkret bedeutet das: Er kann Zeugen befragen, Gutachten in Auftrag geben, er hat das Recht alle Akten einzusehen und er kann Widerspruch gegen das Urteil einlegen. Petry: "Der Pfleger muss sich ein umfassendes Bild über die Lebensumstände des Kindes machen." Monika Petry hat sogar schon ein wenige Monate altes Baby vor Gericht vertreten. Es bestand der Verdacht, dass es missbraucht worden sei. Petry hat dann in detektivischer Kleinarbeit alle Fakten und Beweise zusammengetragen: Sie hat die Eltern und Großeltern befragt, hat im Krankenhaus recherchiert, hat ein Gutachten in Auftrag gegeben. Der Richter entschied: Das Kind kommt in eine Pflegefamilie. Der Verdacht hatte sich bestätigt. Es geht den beiden Verbänden nicht darum, Familien auseinanderzureißen. "Unser Anspruch ist natürlich, dass ein Kind beide Eltern braucht. Das geht aber in einigen Fällen einfach nicht. Dann muss entschieden werden, was das Beste für das Kind ist. Und das kann auch mal sein, dass ein Kind aus der Familie herausgenommen werden muss, auch gegen den Willen eines Elternteiles", so Harald Herres. Gerade in Fällen wie dem von Laura erleben die Pfleger immer wieder, dass die Kinder trotz der Sucht an ihren Eltern hängen. Petry: "Sie übernehmen die Verantwortung für ihre Eltern." Das hat Laura jahrelang für ihre Mutter getan. Daher will sie bei ihr bleiben. Der Richter entscheidet aber anders: "Laura, glaube mir. Das beste für dich ist, wenn du zu deinem Vater ziehst." Der Verfahrenspfleger hat dem Richter geraten, dem Vater das Sorgerecht zu übertragen. Laura bricht in Tränen aus. Ihre Mutter verlässt wortlos den Gerichtssaal.

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