Stehaufmännchen aus Goslar

Berlin · Man mag über Sigmar Gabriel denken, was man will - aber ein Stehaufmännchen ist er. Ein bisschen wie Marius Müller-Westernhagen in "Theo gegen den Rest der Welt".

 Sigmar Gabriel (SPD) steht derzeit im Kreuzfeuer der Kritik und gibt sich trotzig. foto: dpa-archiv

Sigmar Gabriel (SPD) steht derzeit im Kreuzfeuer der Kritik und gibt sich trotzig. foto: dpa-archiv

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Berlin. Nachdem das Düsseldorfer Oberlandesgericht seine Ministererlaubnis für die Fusion von Edeka und Tengelmann kassiert hatte, gab sich der SPD-Chef und Wirtschaftsminister am Mittwoch trotzig: Er werde alle Rechtsmittel prüfen, um das Urteil zu revidieren, kündigte er an.
Die Kommentarlage war verheerend: "Bis auf die Knochen blamiert", "Ohrfeige", "Jetzt auch als Minister angezählt", schrieben die Zeitungen. Vom Koalitionspartner CDU kam ein giftiges "Super-Gau für den Wirtschaftsminister" dazu.
Geheimgespräche bestritten


Gabriel unterbrach eigens seinen Urlaub auf Amrum, um sich vor der Presse in Berlin persönlich zu wehren. Vor allem gegen den Vorwurf des Gerichts, er habe das Genehmigungsverfahren nicht sauber betrieben und Geheimgespräche mit Edeka geführt. "Das weise ich entschieden zurück", sagte Gabriel und hielt den Juristen vor, "falsche Tatsachenbehauptungen" aufzustellen.
Das Urteil war jedoch nur der letzte in einer ganzen Reihe von Misserfolgen in den letzten Wochen, die nur einer nicht als solche sieht: Gabriel. Er und seine Berater haben zu jedem Vorgang Erklärungen. Dass die Rüstungsexporte in seiner Amtszeit auf Rekordniveau gestiegen sind, obwohl er doch ihre Verringerung versprochen hatte? Das seien im wesentlichen Entscheidungen der Vorgängerregierung gewesen. Dass sein nach dem Brexit unterbreiteter Vorschlag, die europäische Verfassung zu reformieren und eine echte EU-Regierung zu installieren, schnell in der Versenkung verschwand? Man müsse auch in einer solchen aktuellen Situation weiterdenken, lautet die Antwort.
Das gelte im übrigen auch für die Forderung nach einer Abrüstung der Nato und nach einem Ende der Russland-Sanktionen - beides Punkte, die Gabriel anregte, kurz bevor die EU beschloss, die Sanktionen fortzusetzen und bevor die Nato Truppenverlegungen nach Osteuropa vereinbarte.
Vorwurf: Ständige Kurswechsel


Der Vizekanzler, so die Botschaft, hat nicht etwa ein schlechtes Timing mit seinen Vorschlägen. Er ist nur weitsichtiger als andere und sieht allenfalls vorübergehend schlecht aus. Kritiker, auch in der eigenen Partei, hingegen sagen, der Mann veröffentliche seine Ideen schneller als er denke. Mit seinen ständigen Kurswechseln setzt sich Gabriel immer mehr zwischen alle Stühle. So heißt es in den Unternehmensverbänden schon, Gabriel müsse sich endlich entscheiden, "ob er vorrangig Wirtschaftsminister oder SPD-Parteivorsitzender" sein wolle, weil er neuerdings zur Freude der SPD-Linken wieder die "Verteilungsgerechtigkeit" thematisierte.
Gabriel freilich ist schwer zu verunsichern. Der im Dezember auf dem Parteitag noch abgestrafte Vorsitzende sieht sich wieder versöhnt mit der SPD, seit er stärker nach links blinkt und dafür Zustimmung erhält. Zum Beispiel mit seinen Versuchen, eine rot-rot-grüne Alternative auszuloten, mindestens bei der Bundespräsidentenwahl. Oder mit seinem Einsatz für eine Bundestagsabstimmung über das Handelsabkommen Ceta, für das er ebenso wie für TTIP inhaltlich allerdings durchaus ist. Anders als viele in seiner Partei. Dieser Konflikt kommt noch auf ihn zu.
Offene Vorbereitungen


Immer offener bereitet sich der 56-Jährige auf eine Kanzlerkandidatur im nächsten Jahr vor. Vor zwei Wochen öffnete er zum ersten Mal seinen Garten in Goslar für eine Klatsch-Zeitschrift und ließ sich samt Frau und Kind privat fotografieren. Ein klares Zeichen. Im Parteihaus in Berlin hat er zudem in den letzten Monaten Vertraute an entscheidenden Stellen positioniert, um einen Wahlkampf aus einem Guss machen zu können. Allerdings kann Gabriel die Kandidatur ohnehin kaum vermeiden, denn er ist als Parteichef in der Pflicht, und es gibt niemanden sonst, der es machen will. Falls er trotzdem verzichten sollte, so waren in diesem Jahr schon mehrere aus der Führungsschicht der SPD drohend zu vernehmen, sei "seine politische Karriere zu Ende".

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