Strafgefangene in Rheinland-Pfalz: „Resozialisierung kostet viel Geld, das wir nicht ausgeben“

Trier/Wittlich. · Wie lässt sich verhindern, dass fast die Hälfte der Strafgefangenen in Rheinland-Pfalz rückfällig wird? Diese Frage bewegt Politiker und Strafrechtler. Es hat auch einen praktischen Grund: Trotz zurückgehender Häftlingszahlen sind die Gefängnisse in Trier und Wittlich voll.

Auf den ersten Blick sind die Angaben des Statistischen Landesamtes zur Zahl der Strafgefangenen und Sicherheitsverwahrten positiv: Ende März saßen in den zehn Justizvollzugsanstalten in Rheinland-Pfalz 2637 Menschen ein. Das sind 97 Männer und Frauen weniger als noch vor einem Jahr. Im Vergleich zu 2006 waren es sogar 23 Prozent weniger. Dennoch bedeutet das keine Entspannung für die beiden JVA in Wittlich und Trier.

Denn auf TV-Rückfrage bestätigt das Justizministerium vor allem in Wittlich eine Steigerung zu diesem Stichtag auf 446 Gefangene (2015: 433; 2014: 491; 2010: 426). In Trier ging die Zahl zumindest etwas zurück auf 147 Gefangene (2015: 154; 2014: 146; 2010: 143).

Laufende Baumaßnahmen, unter anderem in der JVA Zweibrücken, nennt das Justizministerium als einen Grund für die beengte Situation (TV vom 1. Dezember). Für die in der Statistik genannte hohe Rückfallquote von 46 Prozent (siehe Grafik rechts) gibt das Land keine Begründung. Übergeordnetes Ziel während der Haftzeit sei die Vermeidung erneuter Straffälligkeit beziehungsweise der Reduzierung von Rückfälligkeit.

Der Trierer Strafrechtler Hans-Heiner Kühne glaubt nicht daran, dass die Resozialisierung von Kriminellen tatsächlich schon in der Haft passiert. "Der Vollzug kann nicht die sozialen Bedingungen in der Gesellschaft verändern. In der Haftzeit kann man letztlich meist nur verhindern, dass die Leute noch weiter abgleiten."

Die intensive Nachsorge in möglichst intakten sozialen Strukturen sieht Kühne als entscheidend für eine erfolgreiche Resozialisierung nach der Haft. "In Deutschland ist die Bereitschaft dafür grundsätzlich da, ohne Hilfestellungen geht das aber nicht. Das kostet aber viel Geld, das wir derzeit nicht wirklich ausgeben."

Vor allem in der Bewährungshilfe sieht der Strafrechtler ein Defizit und verweist auf eigene Erfahrungen im Rahmen seiner Forschung. "Die Bewährungshelfer sind alle vollkommen überlastet." Kühne wünscht von der Politik eine deutliche personelle Aufstockung in diesem Bereich.

Bundesweit ist von durchschnittlich 100 Probanten pro Bewährungshelfer die Regel. Ob das auch für die 16 Sozialarbeiter und Sozialpädagogen zutrifft die beim Landgericht Trier für die ganze Region zuständig sind, wurde gestern von dort nicht bestätigt.

Ute Theis ist seit 35 Jahren in der Bewährungshilfe aktiv. Gemeinsam mit dem Vorstand der Landesarbeitsgemeinschaft (LAG), dem Berufsverband der Bewährungshelfer, kämpft sie seit Jahren für mehr Personal. "Es gab Zeiten, in denen ich auch schon 120 Menschen betreut habe", sagt sie. "Das endet dann in Reaktionismus. Alle mit derselben Intensität zu betreuen, geht dann einfach nicht." Die vom Statistischen Landesamt genannte Rückfallquote ist auch für sie nicht überraschend: "Wir leben mit dem Thema. Manche Leute kenne ich schon 20 Jahre.

Aber wenn zehn die Bewährung nicht schaffen, dann bleiben immer noch die 20, bei denen es erfolgreich läuft."
Wie Strafrechtler Kühne, so warnt auch Ute Theis davor, alle Straftäter gleich zu betrachten. Sehr schwierig seien vor allem Sexual- und Gewaltstraftäter. Bei Frauen seien die Probleme, die es zu bewältigen gelte, oft sehr komplex. Bei ebenfalls zeitaufwendigen Suchtbetroffenen hilft auch der Verein Probare mit seinem ehrenamtlich organisierten Angebot bei der Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Hans-Heiner Kühne sagt, die Rückfallquote von Schwerkriminellen sei eher gering. "Mit Ausnahme von Raub und Einbruch." Beim Thema Bandenkriminalität hätte auch eine personell starke Bewährungshilfe keine großen Erfolgschancen.
Statistische Erhebungen zu diesem Thema finden Sie unter volksfreund.de/extra

Extra Statistik

Die Zahl der Strafgefangenen ist nach Angaben des Statistischen Landesamtes in den vergangenen Jahren zurückgegangen. Vor zehn Jahren verbüßten noch 3446 Personen eine Freiheitsstrafe, im aktuellen Jahr sind es gut 23 Prozent weniger.
Von den Inhaftierten verbüßten 2330 Männer und 154 Frauen eine zeitlich befristete Jugend- oder Freiheitsstrafe von durchschnittlich 21 Monaten. Das Durchschnittsalter dieser Verurteilten lag bei 35 Jahren. Weitere 99 Männer und acht Frauen saßen lebenslänglich ein; sie waren im Schnitt 49 Jahre alt. Unter einer lebenslangen Freiheitsstrafe versteht man in Deutschland einen Freiheitsentzug von mindestens 15 Jahren. Danach kann der Strafarrest zur Bewährung ausgesetzt werden.
Insgesamt 46 Männer befanden sich in Sicherungsverwahrung mit unbestimmter Vollzugsdauer; ihr Durchschnittsalter lag bei 54 Jahren. Eine Sicherungsverwahrung wird gerichtlich angeordnet, wenn ein Straftäter nach Verbüßen seiner Freiheitsstrafe zum Schutz der Allgemeinheit vor möglichen künftigen Taten nicht aus dem Strafvollzug entlassen werden kann. Die Rückfallquote der Strafgefangenen ist sehr hoch. 46 Prozent saßen zum wiederholten Mal in einer Justizvollzugsanstalt ein. Jeder Vierte dieser Rückfalltäter wurde bereits innerhalb eines Jahres nach der letzten Entlassung wegen einer erneuten Straftat festgenommen. Nahezu ein Drittel der Einsitzenden (801 Personen) war aufgrund eines Gewaltverbrechens inhaftiert. Hierbei handelt es sich um Verbrechen, die unter Anwendung von körperlicher Gewalt an einer Person begangen werden. Aufgrund eines Vermögens- oder Eigentumsdeliktes (zum Beispiel Diebstahl oder Betrug) verbüßten 875 Strafgefangene (33 Prozent) eine Freiheitsstrafe, 380 Personen (14 Prozent) saßen wegen einer Straftat gegen das Betäubungsmittelgesetz ein. Die Daten wurden zum Stichtag 31. März erhoben.

Extra Probare e.V.

Ein großes Problem für die erfolgreiche Resozialisierung von Strafgefangenen ist, dass viele Strafgefangene entweder obdachlos sind oder nur bei Familienmitgliedern oder Freunden übergangsweise unterkommen können. Neben der Wohnungsnot fehlt auch nach der Entlassung häufig ein strukturierter Tagesablauf. Dies für oft dazu, dass man wieder anfängt regelmäßig Alkohol zu trinken oder Drogen zu nehmen.
Neben einer Suchterkrankung haben auch immer mehr Haftentlassenen psychische Probleme. Probare hat daher das Projekt ABS installiert. In diesem Projekt werden Menschen betreut, die straffällig geworden sind und gleichzeitig eine Behinderung haben bzw. von einer solchen bedroht sind. Im Rahmen der ambulanten Eingliederungshilfe unterstützend wir die Menschen insbesondere auch nach Haftentlassung bei der Wiedereingliederung in die Gesellschaft durch eine intensive Betreuung.

Links zu den Quellen:
http://www.statistik.rlp.de/index.php?id=2818&tx_ttnews%5btt_news%5d=2121

http://www.bmjv.de/SharedDocs/Publikationen/DE/Legalbewaehrung_strafrechtliche_Sanktionen_Kurzbroschuere.pdf?__blob=publicationFile&v=7

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort