Streit um ein offenes Geheimnis: Neue Atombomben in Büchel?

Mainz · Die rot-grüne Landesregierung fordert nach einem Bericht über eine angebliche Stationierung neuer Atomwaffen am Flugplatz Büchel (Kreis Cochem-Zell) den kompletten Abzug aus Deutschland. Das ZDF hatte berichtet, dass die USA neue Atombomben vom Typ B 61-12 auf dem Bundeswehr-Fliegerhorst lagern wollen.

 Atombomben vom Typ B 61 – hier aufgenommen in einer Fabrik in Texas – könnten in Büchel stationiert werden. TV-Foto: Archiv

Atombomben vom Typ B 61 – hier aufgenommen in einer Fabrik in Texas – könnten in Büchel stationiert werden. TV-Foto: Archiv

Foto: (g_pol1 )

Mainz. Es ist ein offenes Geheimnis, das niemand offiziell beim Namen nennen darf: Auf dem Flughafen Büchel lagern amerikanische Atomwaffen. Im Konfliktfall würden sie von deutschen Piloten der Bundeswehr ins Ziel gebracht. Bereits seit längerer Zeit sickert aus verschiedenen Quellen durch, dass die US-Streitkräfte ihre Systeme modernisieren wollen. Laut ZDF-Magazin Frontal 21 geht es um 20 hochmoderne Nuklearwaffen. Diese Pläne sorgten für harsche Reaktionen der russischen Regierung. Präsidentensprecher Dmitri Peskow warnte sogar von "einer Zerstörung des strategischen Gleichgewichts in Europa" (siehe Extra).
Das heikle Thema beschäftigte jetzt auch den rheinland-pfälzischen Landtag. SPD und Grüne erhoben erneut die Forderung, alle Atomwaffen aus Rheinland-Pfalz abzuziehen. Die CDU verwies auf eine unklare Informationslage.Bund schweigt


Bereits im November 2013 hatte Rot-Grün im Landtag gefordert, dass alle Atomwaffen von dem Bundeswehrflughafen in der Eifel verschwinden. Und im März 2010 hatten sogar die Bundestagsfraktionen dieses Anliegen mit großer Mehrheit unterstützt. Damals forderte das Parlament die Bundesregierung in einem gemeinsamen Antrag (ohne Linke) auf, in der Nato und bei der US-Regierung "mit Nachdruck" auf einen Abzug zu drängen.
Knapp zwei Jahre später, im September 2012, klang das alles schon wieder deutlich anders. Medien berichteten darüber, dass die Bundesregierung sich einverstanden erklärt habe, einer weiteren Stationierung und auch Modernisierung der Atomwaffen in Büchel zuzustimmen. Offiziell bestätigt wurde das nie. Aus Geheimhaltungsgründen gibt es keine Stellungnahme der Bundesregierung zu diesem brisanten Sachverhalt. Doch einschlägige Experten sind sich einig, dass auf dem Militärgelände in Büchel rund 20 Abwurfbomben vom Typ B 61 lagern. Sie werden von gesonderten US-Einheiten streng bewacht. Die Friedensbewegung nimmt das seit zig Jahren zum Anlass für Demonstrationen und Ostermärsche.
Im Landtag eröffnete der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Nils Wiechmann, die Debatte. Mit Blick auf die USA meinte er: "Wir wollen kein Teil einer neuen Aufrüstungs- und Kriegsstrategie sein." Der Grünen-Politiker erinnerte daran, dass die modernisierten Atomwaffen eine Sprengkraft von "80 Hiroshima-Bomben" haben sollen. Und Vize-Ministerpräsidentin Eveline Lemke (Grüne) erklärte für die Landesregierung: "Unsere Überzeugung ist die, dass eine Lagerung von Nuklearwaffen auf deutschem Boden nicht gerechtfertigt ist."
Der SPD-Abgeordnete Benedikt Oster, in dessen Wahlkreis Büchel liegt, nannte es eine "grauenhafte Vorstellung", dass deutsche Piloten mit ihren Tornados - dann ausgerüstet mit US-Atomwaffen - in den Kampfeinsatz gehen könnten. Ähnlich wie andere Redner von Rot-Grün forderte er die Bundesregierung zu einem eindeutigen Signal an die US-Administration auf. Oster machte aber auch deutlich, dass die SPD "uneingeschränkt zum Bundeswehrstandort in Büchel steht".
CDU-Fraktionsvize Marlies Kohnle-Gros warnte vor voreiligen Schlüssen angesichts dürrer Fakten. Sie sprach von "Kaffeesatzleserei". Zudem erinnerte sie daran, dass der einstige Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) wenig von den Protesten in Büchel gehalten haben, und Vize-Regierungschefin Lemke sie heute unterstütze.Extra

Russland hat vor einer möglichen Stationierung neuer taktischer US-Atomwaffen in Deutschland gewarnt und mit Gegenmaßnahmen gedroht. Kremlsprecher Dmitri Peskow warf den USA am Mittwoch in Moskau vor, mit diesem "ernsten Schritt" die Spannungen in Europa zu verschärfen. "Das kann zu einer Zerstörung des strategischen Gleichgewichts in Europa führen", warnte Peskow. Russland werde durch die "Pläne" der USA gezwungen, seine nationale Sicherheit zu gewährleisten. Als Reaktion könne Moskau etwa taktische ballistische Raketen vom Typ Iskander in der Ostseeexklave Kaliningrad stationieren, sagte General Juri Balujewski. Auch verstärkte russische Manöver in der Ostsee und im Schwarzen Meer könnten Maßnahmen sein. Russlands Außenamtssprecherin Maria Sacharowa kritisierte einen Verstoß gegen den Atomwaffensperrvertrag. Deutschland hat keine eigenen Nuklearwaffen. Offiziell haben die fünf UN-Vetomächte USA, Russland, Großbritannien, Frankreich und China Atomwaffen. Experten des Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri schätzen die Zahl der weltweit existierenden Atombomben auf rund 16 000. Den Löwenanteil besitzen demnach die USA mit etwa 7300 und Russland mit 8000 Sprengköpfen. Das ZDF-Magazin Frontal 21 hatte sich bei seinem Bericht über die angebliche Stationierung neuer Atomwaffen in Büchel auf US-Haushaltspläne berufen. Rüstungsexperten meinten, dass die neuen taktischen Nuklearwaffen zielgenauer seien als die Atombomben, die bislang in Büchel gelagert würden. Dem SPD-Verteidigungspolitiker Thomas Hitschler zufolge soll der Bundeswehrstandort Büchel in den kommenden Jahren für 120 Millionen Euro modernisiert werden. dpa

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort