Streit um Sozialberater: Eklat im Landtag

Mainz · Die Szene hatte absoluten Seltenheitswert im Landtag: Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD), SPD-Fraktionschef Hendrik Hering, die Fraktionsspitze der Grünen - alle baten sie CDU-Chefin Julia Klöckner inständig, fast flehentlich, einen Fehler korrigieren zu dürfen.

 Foto: Fredrik von Erichsen

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Mainz. Die Regierungsfraktionen wollten die Chance erhalten, noch einmal über einen Oppositionsantrag abstimmen zu können, den sie noch vor wenigen Minuten barsch verworfen hatten. Nun versprachen sie einstimmige Zustimmung. Plötzlich war es auch für Rot-Grün selbstverständlich, all die Fragen um die sozial- und arbeitsmarktpolitische Förderpraxis und das Trierer Büro - Schneider Organisationsberatung - noch einmal im Sozialausschuss zu diskutieren. Doch wie kam es zu diesem beispiellosen rot-grünen Kotau vor der Opposition, und was waren die Hintergründe?

Problematische Machtfülle?

Hat ein einzelnes Büro in Rheinland-Pfalz zu viel Macht? Seit Monaten versucht die CDU-Faktion, die Geschäfte der Schneider Organisationsberatung, einem langjährigen Partner der Landesregierung, akribisch zu durchleuchten. Nach zig kleinen und einer großen parlamentarischen Anfrage fragt sich die Opposition, ob es über Jahre hinweg eine Art "Förderkartell" im rheinland-pfälzischen Sozialministerium gab. Und ob eine Firma ihre Quasi-Monopolstellung in der Arbeitsmarktpolitik des Landes ausgenutzt haben könnte. Immerhin sind in den vergangenen Jahren zu Schneider-Firmen rund 20 Millionen Euro an Landes- und Europageldern geflossen. Das Unternehmen berät seit 20 Jahren Projektträger, die Langzeitarbeitslose in Lohn und Brot bringen wollen oder ausländischen Menschen die Integration erleichtern.
Wie problematisch die CDU die vielfältige Rolle von Heiner Schneider sieht, machte Sozialpolitikerin Hedi Thelen deutlich: "Schneider Organisationsberatung entwickelt Förderansätze und berät andere Projektträger, wofür er Geld kriegt. Dann darf er, (...) auch noch selbst ESF-Projekte umsetzen, wofür er dann auch wieder Geld kriegt. Und entscheiden darüber tut ein Auswahlgremium, in dem Schneider ebenfalls sitzt, in welcher Funktion auch immer." Das Kürzel ESF steht für Europäischer Sozialfonds. Das ist der größte Geldtopf, um in Rheinland-Pfalz Arbeits- und Sozialpolitik zu gestalten. Ein Bereich, in dem Rheinland-Pfalz zwischen 1994 und 2013 immerhin rund 607 Millionen Euro an EU-Mitteln und Landesgeldern ausgegeben hat. 518 000 Menschen konnte in 7585 Projekten geholfen werden, so Sozialminister Alexander Schweitzer (SPD) gegen Abend im Landtag. Redner von SPD (Katrin Anklam-Trapp) und den Grünen (Fred Konrad) lobten die Errungenschaften der rheinland-pfälzischen Beschäftigungspolitik, die zu der drittniedrigsten Arbeitslosigkeit im Bundesländervergleich geführt habe.
Konrad warnte die CDU davor, einen Filzvorwurf zu konstruieren. Die Vergabe von ESF-Mitteln würde besonders streng kontrolliert. Und die SPD-Politikern Anklam-Trapp mahnte, "die Arbeit einer Projektgesellschaft nicht zu diskreditieren". Sozialminister Schweitzer sprach von bedenklichen Mutmaßungen. Sein Resümee: Der Umgang mit dem ESF in Rheinland-Pfalz ist ein guter. Die Grundbotschaft von Rot-Grün: Die CDU versucht, einen Skandal herbeizureden, der keiner ist.
Um der Opposition in die Parade zu fahren, stellte die SPD die Antworten des Ministeriums auf die große Anfrage der CDU zur parlamentarischen Aussprache. Und zwar so kurzfristig, dass den Christdemokraten jegliche Zeit fehlte, das dicke, von den Fachleuten im Sozialressort über Wochen zusammengestellte Antwortpaket gründlich zu studieren. Als die CDU-Politikerin Gabi Wieland dann den Antrag stellte, die Ergebnisse der Anfrage weiter im sozialpolitischen Ausschuss zu beraten, schmetterte Rot-Grün das Ansinnen mit Mehrheit ab.
Ein kapitaler Fehler, wie dem Regierungslager wenig später dämmerte: Wer nichts zu verbergen hat, macht die Opposition nicht mundtot. Ein kommunikativer Super-GAU drohte. Plötzlich wurde es hektisch. Eine Ministerpräsidentin, die sich angeblich nur einen Kaffee holen wollte, befand sich im aufgeregten Gespräch mit erbosten CDU-Vertretern. Thema: Rot-Grün wollte jetzt noch einmal neu über den Antrag abstimmen. Nur: Um ein zweites (und positives) Votum abgegeben zu können, brauchte das Regierungslager eine Zwei-Drittel-Mehrheit, die Stimmen der Opposition.

Klöckner ließ Rot-Grün zappeln

Dann berieten die Fraktionsspitzen im Plenum den heiklen Fall. CDU-Chefin Julia Klöckner ließ Rot-Grün zappeln: "Ihr habt die Mehrheit. Macht damit, was Ihr wollt", meinte sie unnachgiebig. Oder: "Ich kann damit leben, Ihr habt ein Zeichen gesetzt." Die Faktionsspitzen von SPD und Grünen bettelten fast um eine neue Chance. Sie wären vom CDU-Antrag überrumpelt worden, hieß es kleinlaut. Klöckner und die CDU-Fraktionsspitze ließen sich bitten - und lenkten nach langem Zögern gnädigerweise ein. Die rheinland-pfälzische Förderpraxis wird jetzt noch einmal ausgiebig im Sozialausschuss diskutiert.
Rot-Grün wittert längst, warum es der CDU in Wahrheit geht: dem Ruf Malu Dreyers einen tiefen Kratzer zuzufügen. Sie amtierte lange als Sozialministerin. Und die Schneider Organisationsberatung geht aus dem Büro für Sozialplanung hervor, an dem bis 1994 Klaus Jensen, der Trierer Oberbürgermeister beteiligt war - Ehemann der Ministerpräsidentin.

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