"Studenten sollen sich die Uni aussuchen"

MAINZ. In Rheinland-Pfalz sollen sich die Studenten ihre Universität auch künftig aussuchen können. Hochschulen sind für die Studenten da und nicht umgekehrt, so Wissenschaftsminister Jürgen Zöllner im Interview mit dem TV zu Forderungen, den Universitäten das Auswahlrecht zu übertragen.

Die Hochschulen haben die Schule als Bildungsthema Nummer eins abgelöst, doch Streit um Elite-Universitäten, Studiengebühren oder Studienplatzvergabe sorgt für Unruhe. Ist das noch produktive Unruhe? Zöllner: Wir streiten uns nicht, wir suchen den besten Weg - und dies ist in einem so wichtigen Bereich produktiv.Sie wollen keine Auswahl von Elite-Universitäten á la "Deutschland sucht den Superstar". Baut Ihre Parteifreundin, Bundesbildungsministerin Bulmahn, mit ihrer Millionen Euro teuren Vision nur Luftschlösser? Zöllner: Das Verdienst der SPD und von Frau Bulmahn ist, dass sie dieses Thema auf die Tagesordnung gebracht haben. Allerdings sollte der Ansatzpunkt wegen der großen qualitativen Stärke der deutschen Hochschulen in der Breite nicht die Eliteuniversität sein, sondern einzelne Wissenschafts- und Fachbereiche der Hochschulen. Die unterschiedliche Leistungen in Lehre, Nachwuchsförderung und Forschung müssen getrennt berücksichtigt werden, um ein differenziertes Bild wiederzugeben. Es ist genau so wichtig zu wissen, welches die bessere oder schlechtere Hälfte der Hochschulen ist, wie zu wissen, welche die besten fünf sind.Werfen Uni-Präsidenten zu recht Bulmahn Dilettantismus bei der Elite-Auswahl vor? Zöllner: Das Suchen nach optimalen Lösungen ist oft nicht möglich, wenn man nicht auch mal einen kleinen Schritt in die falsche Richtung geht.Was läuft in Deutschland falsch, wenn viele Nachwuchs-Forscher ins Ausland wechseln? Zöllner: Dass viele deutsche Nachwuchs-Forscher in der Welt begehrt sind, ist der Beweis für meine These: Das deutsche Hochschulsystem ist besser als sein Ruf. Wir müssen aber auch attraktive Bedingungen für Arbeit und Besoldung schaffen, dass sie nach der wünschenswerten Auslandserfahrung wieder zurückkehren.Selbst SPD-Politiker befürchten, dass über kurz oder lang nicht nur Unions-geführte Länder auf Studiengebühren verfallen, um sich Geld für die Hochschulen zu beschaffen. Zöllner: Ich fühle mich in meinem Widerstand gegen die Gebühren voll bestätigt - und bin wirklich nicht gerade glücklich darüber. Ich sage seit Jahren, dass die Hoffnung, sich auf diesem Weg finanzielle Entlastung zu verschaffen, kurzsichtig ist, weil mit der zusätzlichen Einnahmequelle automatisch die Basisfinanzierung durch den Staat geringer ausfallen wird. Innerhalb weniger Jahre ist dann der zusätzliche Gewinn aufgezehrt. In Hessen wandern die zusätzlichen Einnahmen zu 90 Prozent in den Topf des Finanzministers.Der Wissenschaftsrat fordert radikale Änderungen beim Hochschulzugang. Universitäten sollen sich ihre Studenten aussuchen können. Was wird dadurch gewonnen? Zöllner : Ich habe das Papier als Mitglied des Wissenschaftsrates maßgeblich mit beeinflusst. Sein eigentlicher Kern ist die Orientierungsphase, die in den beiden ersten Semestern ernsthafter wahrgenommen werden muss. Dass dieHochschulen sich die Studenten auswählen, ist genauso eine Alternative wie die angestrebte rheinland-pfälzische Variante, nach der sich die Studierenden ihre Hochschulen aussuchen. Ich möchte, dass sich in Rheinland-Pfalz die Studenten die Professoren aussuchen, weil die Hochschulen für die Studenten da sind und nicht umgekehrt.Wie soll das Auswahlsystem konkret aussehen? Zöllner: Ich möchte, dass die besten Abiturienten sich die Hochschulen aussuchen können. Zweitens müssen wir dafür sorgen, dass jeder einen Platz bekommt. Dann halte ich es allerdings auch für richtig, dass für diejenigen, die ihre Chance nicht nutzen und sich nicht bewähren ein Weiterstudieren nach der Orientierungsphase problematisch wird.Was heißt das? Zöllner: Was das konkret bedeutet könnte, hängt vom Einzelfall ab.Die Forderungen werden lauter, die Zentrale Studienplatzvergabe über die ZVS ad acta zu legen? Zöllner: Ich kann über diese Diskussion nur schmunzeln. Entweder ist sie von Unkenntnis geprägt oder von einer für mich nicht durchschaubaren bösen Absicht. Es geht nicht um die ZVS. Im Grundgesetz wird die freie Auswahl der Ausbildung garantiert. Ein Verfassungsgerichtsurteil besagt, dass es Beschränkungen bei der Studienzulassung nur geben darf, wenn die Kapazitäten völligausgeschöpft sind. Der entscheidende Punkt ist, dass jeder eine gleiche Chance haben muss, sich den Studienort und den Studiengang seiner Wahl auszusuchen. Das wird durch ZVS-Verfahren geregelt.Also sind die Forderungen nur heiße Luft? Zöllner: Wer die ZVS abschaffen will, muss Alternativen finden, die dem Grundgesetz entsprechen. Ich kenne keine, denn die Auswahl der Studenten durch die Hochschulen genügt dem aus meiner Sicht nicht. Ein solcher Weg wäreungerechter. Nach einem halbstündigen Gespräch ist ein Mensch nicht so gut zu beurteilenwie es durch eine Abiturnote möglich ist, in der letztlich die Leistung von mehreren Jahren einfließt. Das Abitur darf über ein Auswahlverfahren nicht abgewertet werden. Wir dürfen durch reine Tests keine Fachidioten heranzüchten.Ihr Mainzer Koalitionpartner FDP will in den beiden nächsten Jahren insgesamt 100 Millionen Euro zusätzlich für die Hochschulen freischaufeln, die ZVS abschaffen und den Unis Studiengebühren erlauben. Bringt Sie so viel Eifer nicht in die Defensive? Zöllner: Ich bin unheimlich erfreut, dass in der FDP wie bereits in der SPD die Meinung wächst, dass die Hochschule mehr Mittel braucht. Ich fühle mich überhaupt nicht in der Defensive.Die Situation an den Hochschulen im Land ist durch den Studentenansturm und Zulassungsbeschränkungen ja keineswegs rosig. Zöllner: Wir haben eine attraktive Hochschullandschaft. Der Preis dafür ist, dass mehr Studierende nach Rheinland-Pfalz kommen, als Rheinland-Pfälzer außerhalb studieren. Wir werden nicht künstlich das wichtigste Kapital, über das wir mit der Ausbildung junger Menschen verfügen, reduzieren. Wir werden die Kapazitäten voll ausschöpfen und damit natürlich auch Risiko laufen, Numerus clausus einzurichten. Im übrigen haben wir den Hochschulhaushalt im Gegensatz zu anderen Ländern in diesem Jahr nicht gekürzt, sondern leicht zugelegt.kMit Minister Zöllner sprach unser Redakteur Joachim Winkler.

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