Trierer Parteienforscher Uwe Jun: Entscheidende Themen bei Koalitionsverhandlungen werden Verkehr, Finanzen und Energiewende

Trier · Malu Dreyer profitiert, weil sie als Landesmutter Identität stiftet, Julia Klöckner hat kaum Fehler gemacht und Volker Wissing ist zentraler Akteur der Koalitionsverhandlungen. Das sagt der Trierer Politologe Uwe Jun im Volksfreund-Interview.

Rheinland-Pfalz ist nach rechts gerutscht, Malu Dreyer hat unerwartet deutlich gewonnen, die CDU selbst in ihren Hochburgen unerwartet deutlich verloren, und der Wille der FDP wird nun zum entscheidenden Faktor in den Koalitionsverhandlungen. Unsere Redakteurin Katharina de Mos hat mit dem Trierer Parteienforscher Prof. Uwe Jun darüber gesprochen, wie es dazu kam und wie es nun weitergeht.

Herr Professor Jun, man hat nach diesen Wahlen den Eindruck, dass Personen wichtiger sind als Parteien und Programme. Ist das so?
Jun: Der Wähler sucht nach Identität, und er findet sie immer weniger bei den Parteien. Insbesondere auf der Länderebene beobachten wir schon länger, dass Ministerpräsidenten dem Wähler in ihrer Rolle als Landesmutter oder Landesvater diese mögliche Identität bieten - Winfried Kretschmann und Malu Dreyer füllen diese Rollen hervorragend aus.

Wie erklären Sie es, dass die SPD auch traditionell schwarze Landkreise gewonnen und Direktmandate erobert hat?
Jun: Sicher haben die SPD-Kandidaten von Malu Dreyer profitiert, aber die Einzelergebnisse sind auch mit wahlkreisbedingten Besonderheiten zu erklären. Im Eifelkreis Bitburg-Prüm beispielsweise ist die CDU mit einem Kandidaten (Michael Billen, Anmerkung der Redaktion) angetreten, der schon seit langer Zeit stark polarisiert. Er wurde bei dieser Wahl abgewählt.

Sind auch Fehler von Frau Klöckner schuld am schlechten Abschneiden der CDU?
Jun: Ich kann kaum Fehler von Julia Klöckner erkennen. Sie war in einer schwierigen Situation. Sie hat - wie auch Guido Wolf - erkannt, dass ein Teil der potenziellen CDU-Wähler AfD wählen wird. Sie hat versucht, dem etwas entgegenzusetzen. Das ist nicht beim Wähler angekommen, aber ich sehe auch nicht, was sie hätte tun können, außer sich noch viel schärfer von der Politik der Bundesregierung abzusetzen. Es fehlen der CDU jetzt genau diese Wähler.

Am Wahlabend stand die CDU noch hinter Frau Klöckner. Wird das so bleiben?
Jun: Ich sehe in Rheinland-Pfalz keine echte Alternative zu ihr. Sie hat es geschafft, die Partei wieder zu einen, die ja lange zerstritten war. Und sie hat es geschafft, dass die Partei wieder als handlungsfähiger Akteur wahrgenommen wird. Das muss man ihr zugutehalten. Und wie gesagt, ich sehe keine andere Person, die an ihrer Stelle unumstritten eine Führungsposition einnehmen könnte.

Glauben sie, es kommt jetzt zu einer Ampelkoalition?
Jun: Der zentrale Akteur in dieser Konstellation ist Volker Wissing und damit die FDP. Ob sich der Liberalen-Landeschef darauf einlässt, ist infrage zu stellen, weil die FDP nun mal dieses Wahltrauma von 2013 hat. Sie führt die Bundestagswahlniederlage zurecht auf Glaubwürdigkeitsverluste zurück. Nun will sie das Vertrauen, das sie sich mühsam erarbeitet hat, nicht leichtfertig verspielen. Es ist schwierig für die FDP, mit den Grünen gemeinsame inhaltliche Positionen zu entwickeln. Es bedarf einer großen Überzeugungskraft von Malu Dreyer und viel Kompromisswillens, insbesondere auf Seiten der Grünen, wenn diese Konstellation zustande kommen soll.

Welche Kröte wird die FDP auf keinen Fall schlucken?
Jun: Ich glaube, es wird keine Kompromisse geben, wenn es um die zentralen Themen der FDP geht. Erstens: solide Finanzpolitik. Die FDP will, dass die Schuldenbremse schnell eingehalten wird. Zweitens: Wirtschafts- und Verkehrspolitik. Die FDP will, dass zugunsten der Wirtschaft viel in die Infrastruktur investiert wird, dass deutlich erkennbar wird, dass die Politik sich im Bereich Infrastruktur und Verkehr ändert. Da wird es mit den Grünen schwierig. Das gilt auch für den Bereich Energiewende. Das scheinen mir die drei größten Knackpunkte zu sein.

Rheinland-Pfalz hat einen unerwartet starken Rechtsruck erlebt. Wer sind die Wähler der AfD?
Jun: Es sind zum großen Teil Protestwähler. Wähler, die sich, ihre Werte und Haltungen zu wenig in der etablierten Politik berücksichtigt finden. Es sind mehr Männer als Frauen. Es sind alle Altersgruppen bis 60 - die Älteren neigen weniger zur AfD-Wahl. Die Partei hat aus vielen sozialen Gruppen Wähler gewinnen können, aber sie hat einen Schwerpunkt - gerade im Westen - bei denen, die in sozial prekäreren Verhältnissen leben.

Was erhoffen sich die AfD-Wähler?
Jun: Sie wollen, dass ihre Positionen stärker wahrgenommen werden und dass die etablierte Politik diese bei ihren Entscheidungen mehr berücksichtigt.

Ist das jetzt nur ein Warnschuss, oder wird sich die AfD als Partei rechts von der CDU etablieren?
Jun: Die AfD besetzt einen Pol im Parteienwettbewerb - wir nennen das in der Parteienforschung den autoritären Pol -, den die CDU freigegeben hat. Das sind Werte wie eine nationale Leitkultur, ein traditionelles Familienbild, innere Sicherheit. Diese Themenbereiche sind von der CDU vernachlässigt worden. Wenn es der AfD gelingt, diese auf glaubwürdige Weise zu besetzen, ohne sich zu sehr zu radikalisieren, dann könnte sie sich zumindest mittelfristig etablieren. Die Flüchtlingsproblematik wird sich ja nicht so schnell lösen lassen, sodass die Partei dieses Thema weiter für sich nutzen kann.

Wie werden sich die Parlamente durch die AfD verändern?
Jun: Es wird polarisierter zugehen in den Landtagen. Das sehen wir auch schon dort, wo die AfD vertreten ist. Es wird etwas polemischer zugehen, und wir werden härtere Auseinandersetzungen erleben.

Die Grünen sind extrem geschwächt. Welche Lehren müssen sie aus der Wahl ziehen?
Jun: Die Grünen haben sich vielleicht von dem Ergebnis 2011 blenden lassen. Sie haben nun erkannt, dass sie in Rheinland-Pfalz nur eine relativ schwache Stammwählerschaft haben. Auf jeden Fall müssten sie endgültig die Einsicht gewonnen haben, dass Rheinland-Pfalz ein Land ist, in dem sie immer von der momentanen Stimmungs- und Themenlage abhängig sind. Wenn die nicht zu ihren Gunsten ausfällt, sind sie bei Wahlen in einer prekären Situation.

In den drei Bundesländern ist höchst unterschiedlich gewählt worden. Gibt es dennoch einen gemeinsamen Nenner?
Jun: Der gemeinsame Nenner liegt darin, dass die Repräsentationslücke zwischen der etablierten Politik und einem Teil der Wählerschaft durch die AfD geschlossen wurde. Das können wir in allen drei Bundesländern erkennen. Wenn die Wähler in der Flüchtlingspolitik eine andere Meinung hatten als die etablierten Parteien, die ja ähnliche Positionen vertreten, dann wurden sie in die Arme der AfD getrieben. Der Weg zur Regierungsbildung in Mainz

Die konstituierende Sitzung des Mainzer Landtags ist am 18. Mai geplant. Die alte Regierung in Mainz - also Rot-Grün - bleibt so lange geschäftsführend im Amt, bis der Landtag einen neuen Ministerpräsidenten gewählt hat - selbst nach einem Rücktritt der Landesregierung, wie aus Artikel 98 der Landesverfassung hervorgeht. Dieser sieht nicht nur eine Ermächtigung zur Fortführung der Geschäfte vor, sondern auch eine Verpflichtung dazu. Eine zeitliche Begrenzung dafür nennt die Landesverfassung nicht, Neuwahlen sind also nicht zwingend vorgeschrieben. dpaZur Person

Uwe Jun, 1963 in Braunschweig geboren, lehrt seit 2005 als Professor für westliche Regierungssysteme und das politische System Deutschlands an der Universität Trier. Seine Schwerpunkte sind Parteienforschung und politische Kommunikation. wie

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