Triers letzter Kurfürst dankt ab

Trier · Eigentlich war er "nur" Chef einer Landes-Mittelbehörde. Aber mit Josef Peter Mertes geht auch die letzte Reminiszenz an Zeiten, da die Region Trier einen eigenen Regierungsbezirk bildete und im Kurfürstlichen Palais die Weichen für Mosel, Saar, Eifel, Hunsrück und Hochwald gestellt wurden.

 Clemens Wenzeslaus (rechts) war bis 1812 letzter offizieller Kurfürst in Trier, Josef Peter Mertes bis 2011 der letzte inoffizielle. TV-Foto: Friedemann Vetter

Clemens Wenzeslaus (rechts) war bis 1812 letzter offizieller Kurfürst in Trier, Josef Peter Mertes bis 2011 der letzte inoffizielle. TV-Foto: Friedemann Vetter

Trier. Der Blick aus dem Amtszimmer von Josef Peter Mertes ist nach wie vor kurfürstlich. Der Palastgarten zeigt dieser Tage seine ganze herbstliche Pracht, die Skulpturen leuchten frisch gestrichen durch die neuen Palais-Fenster - ein Bestandteil der millionenschweren Rundum-Renovierung, die das Gebäude in der Ära Mertes erfahren hat.
Als der SPD-Politiker vor elf Jahren nach dem plötzlichen Tod von Heinrich Studentkowski die Behörde übernahm, erwartete man einen knallharten Abwickler. Das Land hatte soeben gegen heftigen Widerstand aus der Region die Regierungsbezirke abgeschafft und das einstige Regierungspräsidium in eine landesweite "Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion" umgewandelt. Mertes hatte die Reform unterstützt und sich dafür an Mosel und Saar reichlich Prügel eingehandelt.
Doch kaum saß er auf dem einstigen Kurfürsten-Thron, erwies sich der gelernte Sonderschullehrer und promovierte Philologe als ebenso listenreicher wie hartnäckiger Lobbyist für die Region. Er machte Gelder für den Schulbau locker, entwickelte Kultur- und Tourismus-Projekte, erfand fantasievolle Finanzspielräume für verschuldete Gemeinden, trieb EU-Mittel aus den unbekanntesten Reptilien-Fonds auf.
Zudem baute der frühere Landtagsabgeordnete, der in seiner Politiker-Zeit als bekennender Antibürokrat galt, seine Behörde konsequent aus, holte zusätzliche Jobs und Aufgaben nach Trier. Er etablierte die ADD derart, dass in Mainz zeitweise über die Frage spekuliert wurde, ob man nicht alle drei Landes-Mittelbehörden in Trier zusammenlegen solle - natürlich unter der Ägide von Josef Peter Mertes.
Vielleicht war das aber auch nur ein Gerücht, das Mertes selbst gestreut hatte. Zuzutrauen wäre es dem Polit-Fuchs allemal. In der Mainzer Ministerialbürokratie schildern sie in einer Mischung aus Respekt und Gereiztheit die Kombination aus Penetranz und Geschick, mit der ihnen der ADD-Chef Förderzusagen, Personalstellen oder Sondergenehmigungen entlockte - vorrangig für "seine" Region. Wobei es Mertes an Konfliktfähigkeit nie mangelte, auch gegenüber Granden von der Ministerbank ("Die musste ich manchmal ordentlich bearbeiten") oder notfalls sogar "König Kurt" Beck.
Die Spezies des pragmatischen, ergebnisorientierten Politikers, der sich als Macher versteht, ist ein Auslaufmodell. Vielleicht klingt es deswegen etwas nostalgisch, wenn Josef Peter Mertes die Trickkiste aufmacht und mit sichtlichem Vergnügen vom Zustandekommen manch wichtiger Entscheidung erzählt. Oder von Weggefährten wie dem Trierer Alt-OB Helmut Schröer, mit dem er - trotz unterschiedlicher Couleur - viele Projekte "eingetütet" hat, notfalls auch jenseits bürokratischer Pfade. Im richtigen Moment zupacken müsse man halt, "aufspringen, wenn der Zug langsam genug fährt".
Neben dem Kümmerer Mertes gibt es aber durchaus auch den machtbewussten Aufsichts-Chef. Wenn Bürgermeister und Landräte bei ihm antraten, um die Genehmigung für einen defizitären Haushalt zu erbitten, soll das nicht immer vergnügungssteuerpflichtig gewesen sein - jedenfalls für die Kommunalpolitiker. Dass sich Mertes bei der Ausübung von Macht sichtlich unwohl gefühlt habe, hat hingegen noch nie jemand behauptet.
Seine Erfolge haben natürlich auch mit dem enormen Fleiß, der Detailversessenheit und der gnadenlosen Einsatzbereitschaft zu tun. Dass er ein Workoholic ist, würde er wohl nicht bestreiten. Fast beiläufig erzählt er von seiner schweren Krebserkrankung vor neun Jahren. Wo andere vielleicht ein Signal zur Lebensumkehr gesehen hätten, startete der gebürtige Trierer durch. "Außer den drei Tagen auf der Intensivstation habe ich eigentlich immer gearbeitet", sagt er rückblickend. Sein Fahrer brachte ihm die Unterschriftsmappen in die Reha.
Im März ist er 65 geworden, ein halbes Dienstjahr kam landtagswahlbedingt dazu - viel zu wenig Zeit, um alle seine Herzensprojekte noch zu Ende zu bringen. Es wird nicht leicht werden, zu akzeptieren, dass man nicht mehr für alles zuständig ist. Aber da sind ja noch die Landesmusikakademie, der Hochschulrat der Uni, der Förderverein der Stadtbibliothek und was der Ehrenämter mehr sind. Und, wer weiß, vielleicht engagiert ihn ja eine Kommune als Berater für die Haushaltssanierung. Oder der Privatmann Mertes steigt ins Tourismusgeschäft ein. Er kann sich vieles vorstellen. Nur Nichtstun ist wohl nicht darunter.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort