TV-Sommerserie: Froh zu sein bedarf es wenig

Trier/Saarburg · Petra Koltes zeigt, wie man glücklich und zufrieden bleibt, auch wenn der Körper nicht mehr mitspielt.

 Schiff ahoi: Susanne Konz schiebt Petra Koltes zu ihrem zweistündigen Bootsausflug von Saarburg nach Trier.

Schiff ahoi: Susanne Konz schiebt Petra Koltes zu ihrem zweistündigen Bootsausflug von Saarburg nach Trier.

Foto: (g_kultur

Manchmal ist das Glück ganz klein. Dann versteckt es sich in einer Brezel mit Obazda, in den Wellen der Mosel, in einem Glas Sekt oder in der Gesellschaft lieber Menschen. Die Sektgläser klirren, als Petra Koltes und Susanne Konz auf ihren gemeinsamen Ausflug anstoßen. "Zum Wohl" ruft ihnen ein Mann auf einem Fahrrad zu. Die Frauen sitzen am Schiffsanleger an der Saar in Saarburg. Die Sonne spiegelt sich im Glas. Morgens hat es noch geregnet. "Das Wetter hab ich uns bestellt, Petra", sagt Susanne. Gleich werden die beiden an Bord eines Moselschiffs gehen und eine Bootstour von Saarburg nach Trier machen. Ein fast ganz normaler Sommerausflug unter Freundinnen. Aber nur fast. Und das nicht nur wegen ihres Altersunterschiedes.

Susanne schiebt den Rollstuhl von Petra über die Rampe auf das Schiff. Petra leidet unter Multipler Sklerose. Sie ist erst 59 Jahre alt, aber Hilfsbedürftigkeit ist nicht immer eine Frage des Alters. Susanne Konz, mit 30 Jahren halb so alt, ist ihre Physiotherapeutin. Sie will Petra einen schönen Tag bescheren. "Sie kann ja ohne fremde Hilfe nicht mehr viel machen. Dabei ist sie ein so offener und unternehmungslustiger Mensch", sagt Susanne über ihre Patientin. Dieser Ausflug ist für die 59-Jährige etwas ganz Besonderes. Sie lebt in einer Kellerwohnung in einem Haus, das sie sich mit ihrer Stiefmutter und ihrem Halbbruder teilt. "So zwei- bis dreimal im Jahr verlasse ich meine Wohnung", erzählt sie, "spätestens wenn ich zum Zahnarzt muss." Die Zeit vertreibe sie sich mit lesen und telefonieren. Außerdem habe sie eine schöne Terrasse vor ihrer Wohnung. Dort will sie auch ihren 60. Geburtstag feiern, auf den sie sich schon freut.

Einmal im Jahr besucht ihre Tante aus Berlin sie. "Dann fahren wir immer über die Brücke zum Wasserfall und trinken einen Cappuccino oder gönnen uns ein Eis", erzählt sie, und ihre hellen blauen Augen blitzen. Früher habe ihre Stiefmutter sie öfter mit zu Geburtstagen genommen, aber das sei inzwischen zu anstrengend: "Sie muss mich ja erst mal aus der Wohnung und dann mit dem Rollstuhl ins Auto bekommen. Da hab ich irgendwann gesagt, sie soll alleine fahren", erzählt Petra.Jung & Alt versteht sich

 Eine Schifffahrt, die ist lustig, eine Schifffahrt, die ist schön: Susanne und Petra stoßen mit Sekt auf den gemeinsamen Ausflug an. Drei Männer braucht es, um Petra mit ihrem 50 Kilogramm schweren Rollstuhl auf das Schiff zu wuchten. Auf der zweistündigen Fahrt lachen und reden die Beiden, zeigen sich Fotos oder genießen einfach schweigend die Ruhe auf dem Wasser. TV-Fotos (5): Sarah München

Eine Schifffahrt, die ist lustig, eine Schifffahrt, die ist schön: Susanne und Petra stoßen mit Sekt auf den gemeinsamen Ausflug an. Drei Männer braucht es, um Petra mit ihrem 50 Kilogramm schweren Rollstuhl auf das Schiff zu wuchten. Auf der zweistündigen Fahrt lachen und reden die Beiden, zeigen sich Fotos oder genießen einfach schweigend die Ruhe auf dem Wasser. TV-Fotos (5): Sarah München

Foto: (g_kultur



Alleine ihr Rollstuhl wiegt 50 Kilogramm. Auch die Schiffsmitarbeiter kommen kräftig ins Schwitzen, als sie Petra zu dritt auf das Schiff wuchten. Über zwei kleine Rampen für die Räder ziehen sie sie rückwärts ins Schiffsinnere. Sie bleiben stecken, es wird hektisch - "Geh du nach hinten" - "Das geht nicht, ich komm hier nicht mehr durch". Petra hängt in ihrem Stuhl und lässt das Gezerre, Geruckel und Geschiebe geduldig über sich ergehen. Nach langen Minuten sind die beiden an Bord.

Der Innenraum des Schiffes wirkt wie ein altes Café, die Eckbänke aus dunkelbraunem Holz sind mit gemustertem Stoff überzogen. Es ist heiß, die Luft stickig. Die beiden Frauen sind allein hier unten. Familien, ältere Leute, Paare - sie alle zieht es nach oben auf die Sonnenterrasse. Für Petra Koltes ein unerreichbares Ziel. Ihre Augen strahlen trotzdem, ihre Wangen sind gerötet.

Susanne fährt sie zum Tisch und stellt die Bremsen fest. "Sitzt du bequem, Petra? Du hängst so schief", fragt sie. Tatsächlich ist die 59-Jährige durch den Transport in ihrem Stuhl verrutscht. "Ich habe immer so einen leichten Rechtsdrall, pfui!", sagt sie und lacht. Die Physiotherapeutin greift ihr unter die Arme und zieht sie hoch. Schon besser. Ist das nicht komisch für Petra, immer Hilfe annehmen zu müssen? "Och, ich kenne Susanne jetzt schon seit so langer Zeit, und wir haben uns schon öfter gegenseitig geholfen. Damit hab' ich kein Problem", erklärt die 59-Jährige.

Seit fast acht Jahren fährt Susanne dreimal in der Woche zu Petra nach Hause, um sie zu behandeln. "Man kriegt da schon viel voneinander mit. Ich erzähle ihr, was ich am Wochenende unternommen habe. Aber auch was mich bedrückt oder belastet", sagt die 30-Jährige.

Susanne Konz und Petra Koltes wissen viel voneinander.

Am meisten beeindrucke sie Petras Gelassenheit. "Sie hat sich in den acht Jahren noch nie beschwert. Und das, obwohl sie nur eine Hand bewegen kann. Sie ist immer gut gelaunt. Ich reg mich manchmal über so einen Scheiß auf, da würde sie drüber lachen. Das ist echt beneidenswert." Deshalb mache es ihr Spaß, mit Petra zu arbeiten. Auch über Bücher tauschen sich die beiden bei Susannes Besuchen aus. "Wir haben einen ähnlichen Geschmack. Wenn ich mal nichts mehr zu lesen habe, dann leiht sie mir was aus", erzählt Susanne. Auf ihrem Smartphone zeigt sie ihrer Patientin Bilder von ihrer kleinen Nichte. "Sie ist jetzt zwei Monate alt", sagt sie. Petra Koltes bestaunt das Baby. "Und das ist Henne, mein Hase." Susanne grinst.

Das Schiff setzt sich in Bewegung. Das Wasser rauscht, der Motor brummt. Campingplätze, Kormorane und Radfahrer ziehen an den Frauen vorbei. Petra Koltes erzählt, wie sie mit Mitte 20 die Diagnose bekam. Sie hatte es bereits geahnt: Eine Sehnerv-Entzündung und ein Kribbeln in den Armen hatten es ihr angekündigt. Die Symptome kannte sie bereits. Auch ihre Mutter hatte Multiple Sklerose. Es sei trotzdem hart gewesen, die Ahnung bestätigt zu bekommen.

Petra Koltes erzählt davon, wie sie die Diagnose bekam. Sie hatte es bereits geahnt.

Mit der Diagnose war Petra Koltes klar, dass ihr Leben nicht wie das der meisten Menschen verlaufen würde. Sie wusste, dass sie viel früher eingeschränkt und auf Hilfe angewiesen sein würde als gesunde Menschen. Sie würde im Alter keine langen Spaziergänge durch den Wald, keine spontanen Ausflüge in ein Café, keine Urlaube mehr machen können. Deshalb hat sie vorgesorgt.

Bis 1996 arbeitete die gelernte Krankenpflegerin bei einer Versicherung, wo sie gut verdiente. "Ich hatte Glück, ich konnte noch relativ lange weiterarbeiten, weil ich Schreibtischtäterin war." Sie lacht, während sie in ihrem Rollstuhl sitzt. "Das Schlimme ist, man darf noch nicht mal jammern, weil es eigentlich nichts zu jammern gibt."

Petra hat gelernt, sich über die kleinen Dinge zu freuen. Sie ist glücklich, wenn sie sich an ihre Vergangenheit erinnert: Sie ist viel herumgekommen - beruflich ging es von Köln über Stuttgart nach Dresden. Und sie ist glücklich in der Gegenwart, mit ihren Geschwistern und ihrer "ganz lieben Stiefmutter". Glücklich ist sie außerdem, dass sie so viele Schiffsreisen machen konnte, auch als sie schon krank war.

Petra Koltes erzählt von einer vierwöchigen Reise nach Amerika kurz vor dem Mauerfall.

Ihre erste Tour ging nach Skandinavien. Sie gerät ins Schwärmen, wenn sie von Fjorden und russischen Grenzsoldaten erzählt. "Da hatte ich Blut geleckt", sagt sie, "und als ich dann mitbekommen habe, dass man als Rollstuhlfahrer auf die Aida darf …" Sie lacht. Mindestens dreimal sei sie mit der Aida gefahren. Schifffahren sei ihre Leidenschaft, deshalb habe sie sich auch einen Schiffsausflug gewünscht, als Susanne sie gefragt habe, was sie gerne noch einmal machen würde. Auch wenn es diesmal nicht die Aida, sondern "nur" eine zweistündige Fahrt auf der Mosel ist, für Petra Koltes geht ein Traum in Erfüllung.

Als das Schiff den Ortseingang von Trier passiert, wird sie müde. Ihre Stimme ist mittlerweile heiser vom vielen Reden, ihre Augen sind glasig, und sie kann sich nicht mehr gut aufrecht halten. Es ist Zeit für ihre Blutdrucktablette. Alle vier Stunden muss die 59-Jährige Tabletten schlucken. Nachts muss sie sich dafür den Wecker stellen.
Trotzdem will sie nicht sofort nach dem Ausflug nach Hause. "Nein, also ich muss sagen, ich bin vergnügungssüchtig. Ich möchte das jetzt ausnutzen", sagt sie bestimmt und wirkt auch schon gleich viel fitter.

Die Frauen setzen sich in ein Lokal am Zurlaubener Ufer. Die Sonne scheint immer noch. Sie trinken ein Mineralwasser, essen eine Brezel mit Obazda (eine bayrische Käsecreme), genießen die Aussicht auf die roten Felsen, reden über die Schifffahrt und lachen. Susanne bricht ein kleines Stückchen von der Brezel ab, schmiert Obazda drauf und steckt es ihrer Patientin in den Mund. "Ein Häppchen für Petra, ein Häppchen für Susanne", sagt die 30-Jährige. Petra muss schmunzeln. "Das war ein rundum gelungener Tag: Das Wetter war gut, die Leute waren nett, und wir hatten alle was davon", sagt sie. Das Ausklingenlassen eines ganz normalen Sommerausfluges. Aber eben nur fast.
Vor dem Lokal wartet bereits der Fahrer des Rollstuhltaxis, um Petra Koltes wieder in ihre Wohnung nach Saarburg zu bringen.

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