Übung am grauen Rand des Grundgesetzes

Berlin · Bund und Länder testen die Abwehr eines terroristischen Großangriffs. Geprobt wird dabei auch der Einsatz der Bundeswehr im Innern.

Berlin Seit gestern ist in Deutschland die Hölle los - und keiner merkt es. Zahlreiche Terroranschläge an vielen Orten gleichzeitig, Bombenexplosionen, dazu Entführungen, das ist das Szenario der dreitägigen Stabsübung Getex. Getestet wird in sechs Bundesländern, wie die Kommunikations- und Befehlsstränge in einem solchen Fall funktionieren. "Die Räder müssen ineinander greifen", sagte Innenminister Thomas de Maizière (CDU). Weil erstmals die Bundeswehr mit 360 Stabsoffizieren an einer solchen Übung teilnimmt, ist auch politisch die Hölle los. Der erdachte Terrorangriff geht noch über das Geschehen im November 2015 in Paris hinaus, mit dem auch Spezialkräfte der Polizei fertig werden würden. Eher ist er mit Mumbai im Jahr 2008 vergleichbar: Eine mehrere Tage dauernde, koordinierte und massive Attacke an vielen Orten gleichzeitig - Schulen, Bahnhöfe, Flughäfen, Botschaften. Bremen, Düsseldorf und München gehören zu den Schauplätzen. Es ist ein Szenario, bei dem die Polizei bald so überfordert ist, dass sie nach Hilfe der bewaffneten Streitkräfte rufen muss. Getestet werde ein "extremer Ausnahmefall", sagt Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU). Es ist auch ein extremer Ausnahmefall des Grundgesetzes. Die Bundeswehr darf nämlich eigentlich im Innern gar nicht eingesetzt werden. Es gibt nur drei Ausnahmen: Zur Abwehr eines Notstandes, also einer drohenden Gefahr für die Grundordnung. Diese Karte wird auch jetzt nicht gezogen. Dann zur Amtshilfe. Dabei geht es eher um technische Unterstützung, wie es sie bei Flutkatastrophen oder der Unterbringung von Flüchtlingen schon gab. Die dritte Ausnahme ist ein besonders schwerer Unglücksfall, ein "katastrophaler Schaden". Um den geht es angeblich bei Getex, der "Gemeinsamen-Terrorismusabwehr-Exercise". Nun ist Terrorismus im eigentlichen Sinne kein Unglücksfall, doch die Koalition hat sich entschieden, einen besonders schweren Terrorangriff als solchen zu werten. Nachzulesen ist der Kniff im Weißbuch der Bundeswehr, 2016 vom Bundestag verabschiedet. Die SPD willigte ein, um weitergehende Vorstellungen der Union abzublocken, die ursprünglich bis zu einer Verfassungsänderung gingen. Jetzt wird der "Unglücksfall" Terrorangriff also geübt. Man spürt, wie wichtig das Ereignis der Union ist. CDU-Vize Thomas Strobl, Innenminister in Baden-Württemberg, sprach gar von einem "historischen Moment". Von der Leyen und de Maizière wollen am Donnerstag vor der Presse in Berlin Bilanz ziehen. Von der Leyen meinte, die Bundeswehr verfüge über besondere Fähigkeiten wie das Entschärfen von Sprengsätzen oder geschützte Transporter. "Kein Mensch würde verstehen, wenn diese Ressourcen bei einem extremen Terroranschlag nicht zur Verfügung gestellt würden". Die SPD hielt sich mit Kommentaren zurück. Ebenso die meisten Grünen. Kein Wunder, vier der teilnehmenden sechs Länder haben eine Regierung mit Beteiligung dieser beiden Parteien. Nur die grüne Bundestagsabgeordnete Irene Mihalic warnte vor einer "Militarisierung der Innenpolitik". Umso massiver attackierten die Linken in mehreren Presseerklärungen die Übung. Das reichte von Bewertungen wie "An der Grenze zum Verfassungsbruch" und "Tabubruch" bis zur "Büchse der Pandora", die geöffnet werde. Die Linken riefen auch zu Protesten gegen das Geschehen auf. KommentarMeinung

Kein trojanisches Pferd Hinter der Kritik an der gemeinsamen Großübung von Polizei und Bundeswehr steckt die Befürchtung, dass der Weg für mehr Befugnisse der Truppe im Innern geebnet werden soll. Doch die Diskussion darf nicht in der Form verengt werden. Die Übung ist kein trojanisches Pferd. Vielmehr hat sich durch den islamistischen Terrorismus die sicherheitspolitische Lage dramatisch verändert - zu welchen Mitteln die Fanatiker noch greifen könnten, möchte man sich nicht ausmalen. Aber darum geht es, um die Abwehr massiver Attacken. Um den Extremfall. In einem föderalen Staat ist es notwendig, dass die unterschiedlichen Ebenen und Behörden in der Sicherheitspolitik miteinander kooperieren. Erst recht muss das für die beiden Institutionen gelten, die allein über das Personal und das Material zur Bewältigung von großen Terrorlagen verfügen: Polizei und Bundeswehr. Deswegen ist die Übung richtig. Wie belastungsfähig aber ist die Truppe? Schon jetzt agieren die Soldaten durch die vielen Auslandseinsätze an der Grenze des Zumutbaren. Mehr geht für die Bundeswehr nicht. Mit Ausnahme von Extremfällen. nachrichten.red@volksfreund.de

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