Unnötig, unsinnig, unehrlich, unfertig: Die Kommunalreform

Die bisherigen Anstrengungen für eine Kommunal- und Verwaltungsreform, über die die Parteien tief zerstritten sind, können nur eine Vorstufe sein. Nötig wird eine zweite Phase, der eine eingehende Aufgabenkritik vorangehen muss, die auch die Ministerialebene und die Mittelinstanzen einbezieht. Diese These vertritt der emeritierte Trierer Soziologieprofessor Bernd Hamm in einem Gastbeitrag für den Trierischen Volksfreund.

Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident hat in seiner Regierungserklärung vom 30. Mai 2006 die Verwaltungsreform vor allem mit dem demografischen Wandel begründet, zugleich aber betont,
(a) die Grundstruktur der Kommunalverwaltung, insbesondere die Allzuständigkeit der Ortsgemeinden und die Ehrenamtlichkeit sollen nicht angetastet werden;
(b) die Reform der Ministerialebene und der Mittelinstanzen sei abgeschlossen, stünde also ebenfalls nicht zur Disposition; (c) die Verwaltungsreform sei durch eine Aufgabenkritik zu begründen und einzubetten in einen umfassenden Prozess der Bürgerbeteiligung.
Die Kommunal- und Verwaltungsreform (KVR) ist dagegen zunehmend auf die Frage verkürzt worden, ob Verbandsgemeinden zusammengelegt werden oder ob Ortsgemeinden sich anderen Verbandsgemeinden (VG) anschließen können, um größere Verwaltungseinheiten zu schaffen. Angeblich sind erst von einer Größenordnung von 12 000 bis 13 000 Einwohnern an und bei wenigstens 15 Ortsgemeinden effiziente und kostengünstige Verwaltungen möglich.
Diese Behauptung ist nicht hinreichend belegt: Die VG Kelberg zum Beispiel hat 7200 Einwohner, 28 der 33 Ortsgemeinden sind schuldenfrei, alle zusammen haben elf Millionen Euro Rücklagen gebildet. Die Vorstellung, die Kosten einer Verwaltung seien einzig von der Bevölkerungszahl einer Verwaltungseinheit abhängig, macht auch gar keinen Sinn. Einsparpotenziale müssen ein wichtiges, aber sie können nicht das einzige Kriterium sein, um eine KVR in Gang zu setzen. Relativ geringfügige territoriale Veränderungen auf VG-Ebene sind von der Kostenseite her weitgehend bedeutungslos. Vor allem verstellen sie den Blick auf sehr viel einträglichere Möglichkeiten.
Die KVR ist von Anfang an durch eine umfangreiche Bürgerbeteiligung begleitet worden. Mit großem Aufwand ist die Serie der Regionalkonferenzen, der Bürgerkongresse, der repräsentativen Bevölkerungsumfragen, der Planungszellen durchgeführt worden. In welchem Verhältnis steht dieser Aufwand zum zu lösenden Problem? Ist die geplante Reform geeignet, so ihre Ziele zu erreichen? Hat die Bürgerbeteiligung tatsächlich, wie behauptet, zur Lösung des Problems beigetragen? Ist sie überhaupt ernst genommen worden - oder war sie vor allem lukrative Spielwiese für die beteiligten Institute?
Widersprüche sind sofort aufgetreten: Die Ebenen der Ortsgemeinden und der Kreise, aber auch die der Mittelinstanzen und der Ministerialverwaltung waren von vornherein aus der Betrachtung ausgeschlossen - obgleich dies in der Bürgerbeteiligung, vor allem auch von Orts- und Verbandsbürgermeistern, immer wieder angemahnt worden ist.
Gleiches geschah mit dem Thema Kommunalfinanzierung. Als unter dem Druck der angedrohten Zwangsverheiratung die Ortsgemeinden ihre Bürger befragten, wohin sie denn administrativ ziehen wollten, da passte manches Ergebnis dem Innenministerium nicht (zum Beispiel VG Prüm und VG Obere Kyll - die Fusion über Kreisgrenzen hinweg hätte wahrscheinlich ein Ende des Vulkaneifelkreises Daun bedeutet, und dann hätte man die Kreisebene nicht mehr aus der KVR auslassen können). Als die Bürger der Ortsgemeinde Minheim (VG Neumagen-Drohn) sich für Wittlich-Land entschieden, da winkte die umworbene VG ab. Die Stadt Bitburg und die VG Bitburg-Land lehnten die empfohlene Fusion einfach ab (soll die dann zwangsweise vollzogen werden?). In welchem inhaltlichen Zusammenhang steht eine bescheidene territoriale Reorganisation mit Problemen, die aus dem demografischen Wandel resultieren? Ändern die Auflösung der Verbandsgemeinde Neumagen-Drohn oder die verwaltungsmäßige Zuordnung von Trittenheim zur VG Schweich irgendetwas an den Problemen schrumpfender Ortsgemeinden?
Hält sie die aktiven jungen Leute auf dem Land? Offensichtlich nicht. Wozu also dann eine KVR? Die KVR ist zu einem administrativen Selbstläufer geworden, der seine Begründung verloren hat. Zusammenfassend die Mängel des bisherigen Verfahrens:
1. Es gibt keine Vision, wohin sich Rheinland-Pfalz in den nächsten Jahrzehnten entwickeln soll. Da wäre eine (freilich andere) Bürgerbeteiligung sinnvoll gewesen. Die Chance, die von der Bevölkerung gewünschte stärkere Regionalorientierung politisch und institutionell zu unterstützen, ist nicht erkannt worden.
2.Aufgabenkritik ist unumgänglich. Sie muss alle Ebenen einbeziehen und vor allem die Reform 2000 prüfen (Mittelinstanzen ADD und SGD, Landesbetriebe), wo wahrscheinlich die wirklichen Einsparpotenziale liegen.
3.Wünsche aus der Bürgerbeteiligung sind nicht ernst genommen worden, besondere die nach verlässlicher und ausreichender Kommunalfinanzierung, konsequenter Durchsetzung des Konnexitätsprinzips, Abschaffung der Mittelinstanzen, Lösung der Stadt-Umland-Problematik.
4.Technische und administrative Maßnahmen zur Stärkung der Ortsgemeinden sind nicht geprüft worden: eGovernment, Intra-Netze, rollende Bürgerbüros, Verbesserung der infrastrukurellen Ausstattung.
5.Territoriale Neuordnungen (Ortsgemeinden, VG) werden nur durch die Bevölkerungszahl begründet. Das ist nicht überzeugend, zu eng, die angedrohten Zwangsmaßnahmen sind nicht begründet und außerdem unverhältnismäßig.
Die bisherige Kommunal- und Verwaltungsreform kann nur eine Vorstufe sein. Nötig wird eine zweite Phase, der eine eingehende Aufgabenkritik vorangehen muss, die auch die Ministerialebene und die Mittelinstanzen einbezieht. In ihrem Zentrum sollten die Themen Kommunalfinanzierung, Aufgabenverteilung zwischen den Verwaltungsebenen, Stadt-Umland-Problematik, Probleme der Ortsgemeinden und Ausbau des eGovernment stehen.Extra

Professor Bernd Hamm (65, TV-Foto: Frank Göbel) leitete von 1968 bis 1978 ein Planungsbüro und war Berater des Stadtplanungsamtes Bern. 1977 wurde er Professor für Siedlungs-, Umwelt- und Planungssoziologie in Trier. 2008 ging er vorzeitig in Ruhestand. wie

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