Unser täglich Maria gib uns heute ...

Medjugorje · Seit 36 Jahren soll im bosnischen Wallfahrtsort Medjugorje die Gottesmutter ganze 47 000 Mal erschienen sein. Die katholische Kirche ist gespalten: Wunder oder Lug und Trug?

Medjugorje (dpa) Wer studieren will, wie aus einem unbekannten öden, heißen Flecken ein weltweit bekannter Touristen-Hotspot werden kann, muss sich Medjugorje im südlichen Bosnien-Herzegowina ansehen. Bis Anfang der 1980er Jahre gab es keine Pension, keine Kneipe, nicht einmal Trinkwasser. Heute können hier 30 000 Menschen in Hotels und Fremdenzimmern nächtigen, ein Restaurant reiht sich an das nächste, die Zahl der Souvenirshops ist fast unübersehbar.
Bis zu 2,5 Millionen Menschen kommen jährlich hierher. Vor allem Italiener, aber auch Deutsche, Österreicher, Polen und Tschechen, sogar Koreaner und Mexikaner. Aus rund 80 Ländern stammen die Besucher. Sie alle kommen zu einem Wallfahrtsort, an dem seit dem Sommer 1981 täglich die Gottesmutter erscheinen soll. Von den sechs Sehern haben Marija, Ivan und Vicka angeblich bis heute täglich Marienkontakte.
Sie müssten nicht in Medjugorje sein, sondern könnten diese Erscheinungen auch an vielen anderen Orten haben. Die Botschaften der "Friedenskönigin" drehen sich ums Beten, Fasten, den Glauben und die Nächstenliebe, wie es heißt. Die Franziskaner, die hier von Anfang an die Zügel in der Hand haben, sehen Medjugorje in einer Reihe mit den Wallfahrtsorten Lourdes in Frankreich und Fatima in Portugal.
Der kometenhafte Aufstieg Medjugorjes aus dem Nichts verlief als "organisiertes Chaos", urteilt Vencel Culjak, der über diese Entwicklung eine Doktorarbeit geschrieben hat. Ohne Raumordnungs- oder Bebauungsplan entstanden alle Bauten wild und ohne Kontrolle, erzählte er dem kroatischen Magazin Globus. Kroaten und Italiener sollen sich die Investitionen halbe-halbe geteilt haben. Der Ort sei ein Dorado für Geldwäsche. Um welche Geldsummen es geht, zeigten einzelne Kollekten bei Messfeiern mit Einnahmen von 10 000 Euro.
Bischof Ratko Peric im nahe gelegenen Mostar, zu dessen Diözese Medjugorje gehört, kritisiert seit langem die angeblichen Marienwunder. 47 000 sollen es bisher gewesen sein, rechnete er aus. "Solche Geschichten vom Berühren des angeblichen Körpers der Muttergottes, ihres Kleides, das Beschmutzen ihres Schleiers, lässt uns zu der Überzeugung kommen, dass es unwürdig, nicht authentisch, ja skandalös ist", kritisiert er regelmäßig. "Wir können nur sagen: Das ist nicht die katholische Gottesmutter!"
Auch die übrige Amtskirche tut sich schwer mit einer Einschätzung. Schon 1991 hat die damalige jugoslawische Bischofskonferenz die Wunder in Zweifel gezogen, aber den Priestern doch erlaubt, die Pilgermassen zu betreuen. Eine hochrangige Kommission unter Leitung von Kardinal Camillo Ruini kam Anfang 2014 nach fünf Jahren zu dem Schluss, die ersten Erscheinungen Anfang der 1980er Jahre seien möglicherweise glaubhaft, die vielen späteren zumindest zweifelhaft, sickerte durch.
Daher müsse man mit der Untersuchung der ersten Marienwunder fortfahren, sagte zuletzt auch Papst Franziskus. Über die späteren täglichen Erscheinungen witzelte das Kirchenoberhaupt sogar: "Ich bevorzuge die Gottesmutter nicht als Leiterin eines Telegrafenamtes, das jeden Tag eine Nachricht zu der und der Stunde versendet. Das ist nicht die Mutter Jesu und diese angeblichen Erscheinungen haben keinen großen Stellenwert."
Allerdings will die Kirche die Millionen Gläubigen offensichtlich auf keinen Fall vor den Kopf stoßen. Daher schickte der Vatikan im April den Warschauer Bischof Henryk Hoser für zwei Wochen nach Medjugorje, um Vorschläge für die pastorale Betreuung der Gläubigen zu machen. Hoser wirkte jahrzehntelang in Afrika und hatte sich auch mit den vom Vatikan anerkannten Marienwundern im ruandischen Kibeho beschäftigt. Medjugorje sei religiös "fruchtbarer Boden", der schon 610 Männer zum Priesterberuf geführt habe, sagte er bei seiner bosnischen Mission.
Bosnische Medien vermuten jetzt diese Lösung für Medjugorje: Die ersten Erscheinungen von 1981 werden vom Vatikan als Wunder anerkannt; die Pilger werden von der Kirche organisierter als bisher seelsorgerisch betreut und der Wallfahrtsort wird direkt dem Vatikan unterstellt, um Ordnung in die angeblichen oder tatsächlichen Geldgeschäfte zu bringen.

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