Untreue-Prozess: Angeklagter Hebgen startet Frontalangriff auf CDU - Ex-Parteichef Böhr: Bin unschuldig

Mainz · Die Schatten der Vergangenheit holen die rheinland-pfälzische CDU ein. Beim Untreue-Prozess gegen Ex-Parteichef Christoph Böhr vor dem Landgericht Mainz räumt der Mitangeklagte Markus Hebgen nicht nur alle Tatvorwürfe ein und belastet dadurch Böhr, sondern er bezichtigt auch aktuelle Parteigrößen als Mitwisser.

Mainz. Einst waren sie enge Vertraute und Freunde. Der eine war sogar Trauzeuge des anderen. Als sich Christoph Böhr (59) und Markus Hebgen (47) gestern nach langer Zeit vor Gericht wiedersehen, geben sie sich, gequält lächelnd, nur kurz die Hand. Zu sagen haben sich der ehemalige Partei- und Fraktionschef der CDU und der frühere Fraktionsgeschäftsführer nichts mehr.Landtagswahlkampf finanziert?


Warum das so ist, wird zum Auftakt des Untreue-Prozesses rasch deutlich: Christoph Böhr, der deutlich schlanker geworden ist, hält sich in allen Punkten für unschuldig. Sein Anwalt Thomas Hermes erklärt, sämtliche Annahmen der Staatsanwaltschaft, die der Anklage zugrunde lägen, seien falsch. Das werde sich im Verlauf des Verfahrens zeigen.
Markus Hebgen bekennt sich dagegen schuldig. Ihm sei die illegale Parteienfinanzierung stets klar gewesen. Hebgen entschuldigt sich. Dass er mit seiner Aussage Christoph Böhr und die beiden anderen Angeklagten Claudius Schlumberger (64), Ex-Generalsekretär der CDU, und Carsten Frigge (50), ehemals Hamburger Finanzsenator, schwer belastet, ist ihm wohl bewusst.
Staatsanwalt Andreas Baumann zeigt auf, worum es geht: 386 000 Euro seien 2005/2006 aus der CDU-Fraktionskasse an die Agentur C4 Consulting und das Subunternehmen Allendorf Media AG geflossen. Das Steuergeld sei nicht für die Fraktionsarbeit, sondern für den Landtagswahlkampf der Partei verwendet worden. Laut Fraktions- und Parteiengesetz ist das verboten.
Allen Angeklagten seien die damals schwierigen finanziellen Verhältnisse des CDU-Landesverbandes klar gewesen. Deshalb habe man sich der Fraktionskasse bedient und sich auf einen Zahlungsplan geeinigt. C4-Inhaber Carsten Frigge habe fingierte Rechnungen "für parlamentarische Initiativen gestellt, die es nie gab", sagt der Staatsanwalt. Später seien im Rechenschaftsbericht der Partei und gegenüber dem Landesrechnungshof falsche Angaben gemacht worden.
Die Angeklagten hätten ihre Befugnisse missbraucht und "einen Vermögensverlust großen Ausmaßes herbeigeführt", sagt Baumann. Ein Vermögensschaden ist ein wichtiges Merkmal für den Straftatbestand der Untreue. 480 000 Euro zahlte die CDU an den Landtag zurück, außerdem eine Strafe von 1,2 Millionen Euro an den Bundestag.
An diesem Punkt regt sich allerdings schon Widerspruch der Angeklagten. Der Anwalt von Claudius Schlumberger kündigt an, er werde am nächsten Prozesstag eine Aussetzung des Verfahrens beantragen. Begründung: Die Zahlung an den Bundestag sei ohne Anhörung der Beteiligten erfolgt, und damit sei "ein Grundrecht verletzt" worden. Böhrs Rechtsbeistand Thomas Hermes spricht gar von einer "ausschließlich politisch und taktisch motivierten Strafzahlung". Veranlasst hatte diese 2010 die aktuelle CDU-Chefin Julia Klöckner.
Für das Gericht um den humorvollen Vorsitzenden Richter Hans E. Lorenz zeichnet sich eine schwierige Rechtsfindung ab. Böhrs Anwalt deutet die Richtung an: "Was darf eine Fraktion? Was ist bestimmungsgemäß?" Laut Thomas Hermes gilt eine Fraktionsautonomie. Es müsse beim Geldausgeben nur "einen hinreichenden Bezug zur Parlamentsarbeit" geben. Im Klartext heißt das: Christoph Böhr habe damals einen weitreichenden Spielraum gehabt, die Mittel der Fraktion einzusetzen. Hermes zitiert aus Urteilen des Verfassungsgerichtshofes, denenzufolge eine strafrechtliche Verfolgung nur dann erfolgen dürfe, wenn eine offensichtliche Verletzung des genannten Grundsatzes gegeben sei. Das sei aber nicht so gewesen. "Es war umgekehrt: Die Beratung der Fraktion strahlte auf die Partei aus", sagt Hermes.
Ähnlich denkt offenbar der Mitangeklagte Claudius Schlumberger. Der braun gebrannte Rentner, nach eigenen Angaben passionierter Segler, schüttelt den Kopf, als der Staatsanwalt ihm vorhält, von den Vorgängen gewusst und nichts dagegen unternommen zu haben.
Der Ex-Generalsekretär erlaubt sich die Bemerkung, er habe mit vielen Wahlkampfkonzepten zu tun gehabt. "Mein Beratungsbedarf hält sich in Grenzen."Frontalangriff auf die CDU


Markus Hebgens Verteidigungsstrategie unterscheidet sich von der der anderen Angeklagten. Er räumt alle Taten ein und greift frontal aktuelle CDU-Größen an. Keinesfalls habe er sich mit Böhr einen Tatplan überlegt, sondern es habe "eine große Zahl von Mitwissern" gegeben.
Die CDU-Fraktion sei über die Verschuldung und die C4-Beratung informiert gewesen. Namentlich nennt Hebgen den heutigen Fraktionsvize Christian Baldauf und den Parlamentarischen Geschäftsführer Hans Josef Bracht, die frühzeitig von der unzulässigen Parteienfinanzierung gewusst hätten. Etwas anderes zu glauben, sei "lebensfremd", betont Hebgen mehrmals.
Wie glaubwürdig Hebgen ist, muss das Gericht herausfinden. Immerhin ist er in den vergangenen Jahren zweimal verurteilt worden, unter anderem, weil er in die Fraktionskasse griff und einen Bordellbesuch mit der Kreditkarte der Fraktion bezahlte.Extra

Jens Guth, Generalsekretär der rheinland-pfälzischen SPD, spricht mit Verweis auf die Zeugenliste von einer "offensichtlichen Verquickung von aktueller Unions-Spitze und der dunklen Parteivergangenheit". Der Prozess werfe die Frage auf, was CDU-Chefin Julia Klöckner gewusst habe. Sie habe damals dem Landesvorstand angehört. Grünen-LandesvorsitzendeKatharina Binz mahnt eine "sofortige Aufklärung" der Vorwürfe an, die Markus Hebgen gegen Christian Baldauf und Hans Josef Bracht erhoben habe.fcg

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