Vergiftet und allein gelassen
Opfer oder Spinner: Vor diese Alternative sehen sich oft Menschen gestellt, die über umwelt-bedingte Krankheiten klagen. Glaubt man den Experten, die sich Anfang der Woche zu einer Fachtagung in der Katholischen Akademie trafen, besteht der Verdacht auf Umwelt-Schädigung oft zu Recht.
Trier. "Wir sind an allen Fronten dabei, der Erde den Garaus zu machen". Hans-Jürgen Pesch liebt solche plakativen Sätze. Erstaunlicherweise spricht er sie nicht mit der Leichenbittermiene des unerhörten Propheten, sondern eingepackt in einen deftigen Humor. Vielleicht muss man so sein, wenn man ein Pathologen-Leben mit toten Körpern zugebracht hat.
Nicht alle Teilnehmer, die der Einladung der Katholischen Akademie unter dem provokativen Titel "Vergiftet und allein gelassen" gefolgt sind, wirken so locker. Sie sind oft Betroffene, oder sie gehören zu den "üblichen Verdächtigen", die sich seit Jahren kritisch mit Umweltgiften beschäftigen. "Die anderen" sind nicht gekommen, Unternehmensvertreter, Kassengutachter, Mediziner. Es scheint wenig Dialog zu geben zwischen den Frontlinien.
Die Summe der Erkenntnisse von Hans-Jürgen Pesch, dem 73-Jährigen, lässt freilich im Grunde allenfalls Galgenhumor zu. Die "rapide zunehmende weltweite Industrialisierung" habe die Schadstoffbelastung der Umwelt "mittlerweise bedrohlich" steigen lassen. Vor allem die Kombination freigesetzter Schwermetalle mit übersäuerten Böden sei ein "teuflischer Cocktail". Einer, der irgendwann im menschlichen Körper landet. Zu welchen Konsequenzen das führen kann, dokumentiert der Trierer Mediziner Peter Binz an Beispielen aus der Region. Er redet Klartext, nennt die Romika und den früheren Holzschutz-Hersteller Vanck, aber auch chlorgeschädigte Bademeister.
Binz gilt als Anlaufstelle aller Umwelt-Geschädigten in der Region, aber ein Erfolgserlebnis kann er selten verbuchen. "Die Patienten haben Angst, die Arbeitgeber wollen keine Aufklärung", befindet er kurz und bündig. Zwar wachse dank verstärkten Bewusstseins der Widerstand, aber das Zusammenwirken von Krankenkassen, Berufsgenossenschaften, vielen Ärzten und Justiz sorge dafür, "dass von den ohnehin wenigen gemeldeten Fällen kaum einer zur Entschädigung führt".
Dass Kritiker von Umwelt-Giften "oft nicht ernst genug genommen werden", sagt auch der Wiener Arbeitsmediziner Professor Hugo Rüdiger. Aber anders als Binz plädiert er nachdrücklich für eine differenzierte Sichtweise. Die Möglichkeit, Giftstoffe aufzuspüren und zu messen, sei in den letzten Jahrzehnten immer weiter verfeinert worden. Hingegen hinke die Forschung über mögliche Folgen "völlig hinterher". Man könne "immer besser analysieren, aber keine seriösen Aussagen über die Folgewirkungen treffen". Konsequenz: Weil keiner weiß, wie es wirklich ist, schweigen die einen die Gefährdung tot, und die anderen verfallen in unnötige Panik.
So fordert Rüdiger mehr Investitionen in die Folgen-Forschung, aber auch einen Bewusstseinswandel bei Unternehmen. Bislang hätten "nur Einzelne begriffen, dass sich eine gesunde Belegschaft langfristig auszahlt". Aber oft sei das Management nicht bereit, Geld für die Vorsorge in die Hand zu nehmen. "Prävention lässt sich eben leider schlecht in Kosten-Nutzen-Bilanzen ausdrücken", sagt der Professor.
Elektrosmog, Holzschutzmittel: Die Tagung im Schuman-Haus lässt auch spezielle Themenfelder nicht aus. Patentrezepte kann sie nicht anbieten. Höchstens den Appell der Wissenschafts-Journalistin Antje Bultmann: "Es ändert sich nur was, wenn alle mithelfen."