Vernünftige und keine vernünftigen Zweifel

Frankenthal · Bei der Urteilsverkündung gegen den Eifeler CDU-Landtagsabgeordneten Michael Billen zeigt der Richter des Frankenthaler Landgerichts Verständnis für die Weitergabe der Polizeidaten an die Presse.

 Michael Billen und sein Verteidiger Thomas Hermes vor der Urteilsverkündung gestern Morgen im Landgericht Frankenthal. TV-Foto: Bernd Wientjes

Michael Billen und sein Verteidiger Thomas Hermes vor der Urteilsverkündung gestern Morgen im Landgericht Frankenthal. TV-Foto: Bernd Wientjes

Frankenthal. Nachdem der Vorsitzende Richter Hans-Jürgen Stricker gegen 11.45 Uhr seine Urteilsbegründung beendet hat, stürmt Michael Billen aus dem Saal 20 des Frankenthaler Landgerichts. Der CDU-Politiker lässt die wartenden Journalisten stehen. "Fragen Sie meinen Anwalt", raunt der offensichtlich verärgerte Landtagsabgeordnete den verdutzten Medienvertretern zu. Zuvor hat bereits seine Tochter wortlos, mit Tränen in den Augen, zusammen mit ihrem Mann das Gericht verlassen. Der 58-jährige Billen ist zu einer Geldstrafe von 3600 Euro, seine Tochter zu 3200 Euro verurteilt worden.
Zu Beginn des Prozesses vergangene Woche war der ansonsten wortgewaltige Politiker noch davon ausgegangen, dass ihn auch das Frankenthaler Landgericht freisprechen würde. Wie schon vor zwei Jahren das Landgericht in Landau, wo er und seine Tochter sich schon einmal wegen der sogenannten Polizeidatenaffäre verantworten mussten. Die Polizistin war damals verwarnt worden. Die Staatsanwaltschaft hatte daraufhin eine Revision des Urteils beantragt. Der Bundesgerichtshof hob vor einem Jahr den Landauer Richterspruch wegen Mängeln auf. Daher wurde der Prozess nun komplett neu aufgerollt.
Nicht auszuschließen, dass das Verfahren nun erneut in die nächste Runde geht. Zwar zeigt sich Oberstaatsanwältin Doris Brehmeier-Metz nach der Urteilsverkündung grundsätzlich zufrieden. Das Gericht sei "im Wesentlichen" ihrer Anklage gefolgt, aber unter den von ihr geforderten Geldstrafen von 11 700 Euro für Billen und 4800 Euro für die Tochter geblieben. Sie werde daher prüfen, ob sie Rechtsmittel einlegen werde, sagte Brehmeier-Metz - also eine erneute Revision.
Zwar ist das Gericht mit seinem Urteil in der Tat in wesentlichen Punkten der Anklage gefolgt. Doch unterscheiden sich die Argumente und Schlussfolgerungen zum Teil erheblich von denen der Staatsanwältin.
Billens Tochter habe ihre Kollegen missbraucht, indem sie von ihnen verlangt habe, polizeiinterne Daten über damalige mögliche Geschäftspartner der Landesregierung für das Projekt Nürburgring aus dem Informationssystem Polis zu "ziehen", sagt Stricker. Die 33-jährige Polizistin hat dies bereits zu Beginn des Prozesses zugegeben, was das Gericht ihr auch anrechnet. Ebenso, dass sie damit ihre Kollegen entlastet habe.
Doch anders als die Anklagevertreterin sieht das Gericht nicht Billen als Anstifter für den Datenklau. Während Brehmeier-Metz in ihrem Plädoyer "keinen vernünftigen Zweifel" daran sieht, dass der Vater dahinter steckt, hat Richter Stricker "vernünftige Zweifel" daran: "Es liegt nahe, aber es ist nicht ausgeschlossen, dass es anders gelaufen ist", sagt der Vorsitzende Richter, der den Prozess souverän geführt und immer wieder mit einer Prise pfälzischem Charme versehen hat. Ebenfalls anders als die Staatsanwältin sieht er es nicht als erwiesen an, dass Billen an dem Abend, an dem die Polis-Daten auf der Polizeiwache Landau abgefragt worden sind, seiner Tochter per Telefon die dafür notwendigen Geburtsdaten mitgeteilt hat. Der Tochter sei es egal gewesen, was ihr Vater mit den "hochsensiblen" Daten, die sie ihm mitgegeben habe, mache.
Und dann folgt der Richter wieder der Argumentation der Staatsanwältin. Es gebe nämlich "keine vernünftigen Zweifel" daran, dass Billen die Informationen an die Presse gegeben habe. Ein anderer komme dafür nicht infrage, auch habe sich im Prozess dafür kein Anhaltspunkt ergeben. Er, Billen, habe ein "starkes Motiv gehabt", nämlich als Oppositionspolitiker nachzuweisen, dass die Landesregierung in Sachen Nürburgring Fehler gemacht und womöglich den falschen Leuten vertraut habe. "Es ist verständlich, was Sie gemacht haben, aber es ist nicht zulässig", macht der Richter dem aufmerksam zuhörenden Billen klar. Er habe sich mit der Weitergabe der Daten strafbar gemacht, Beihilfe zum Verrat von Privat- und Dienstgeheimnissen geleistet.
Beobachter im Gerichtssaal können sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Vorsitzende Richter eine gewisse Sympathie für den als Eifel-Rebellen bekannten Politiker hegt. Etwa wenn er sagt, dass er Billen bei den Angaben zu seinem Einkommen glaube. Anders als die Staatsanwältin. Sie bezweifelt die Angaben und rechnet zur Ermittlung der von ihr geforderten Geldstrafe (ihre Höhe richtet sich immer nach dem Einkommen des Angeklagten) zu der Abgeordnetendiät noch mögliche Einkünfte aus Billens landwirtschaftlichem Betrieb hinzu.
Stricker spricht schließlich von einem Urteil, "mit dem alle leben können". Es sei ein Denkzettel, mehr aber auch nicht - und die Strafe sei geringfügig. Eher wie ein Schlichter als ein Richter betont Stricker auch, dass sich beide Beschuldigte nun schon seit vier Jahren dem Verfahren ausgesetzt sehen. Und Billens Tochter, die nach Bekanntwerden der Vorwürfe zunächst vom Polizeidienst suspendiert worden war, droht womöglich noch ein Disziplinarverfahren. Der Richter bedankt sich am Ende ausdrücklich für ein "sehr angenehmes" und "emotionsfreies" Verfahren.
Billens Verteidiger Thomas Hermes hatte vor dem Prozesstag noch angekündigt, bei einer Verurteilung auf jeden Fall Revision zu beantragen. Unmittelbar nach dem Richterspruch sagt er nur noch, er werde Billen den Gang in die Revision empfehlen.Extra

Im ersten Prozess vor dem Landauer Landgericht wurde der CDU-Landtagsabgeordnete Michael Billen vor zwei Jahren freigesprochen, seine Tochter verwarnt. Sie ist nach dreijähriger Suspendierung erst seit kurzem wieder als Polizistin tätig. Der Bundesgerichtshof kippte allerdings den Landauer Freispruch und stellte der zuständigen Kammer des dortigen Landgerichts ein denkbar schlechtes Zeugnis aus. Deren Feststellungen seien teilweise widersprüchlich, auch seien nicht alle Details ausreichend geprüft worden, kritisierte der Vorsitzende Richter des Vierten Strafsenats, Norbert Mutzbauer. Von Rechtsfehlern war in der Urteilsbegründung die Rede. Daher musste also der ganze Fall noch einmal neu aufgedröselt werden - "vor einem unbelasteten Gericht", wie es hieß. Der Grund, warum dieses Mal im pfälzischen Frankenthal verhandelt worden ist. sey

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort