Verschiedene Wahrheiten

TRIER. Wegen Vergewaltigung seiner Stieftochter steht ein 36-jähriger, aus Togo stammender Mann vor dem Landgericht Trier. Ein Fall mit vielen Fragezeichen, wie der erste Prozesstag dokumentierte.

Gelegentlich werden vor Gericht Familienverhältnisse ausgeleuchtet, die den gutbürgerlichen Beobachter an den Rand der Fassungslosigkeit bringen. So wie am "Fetten Donnerstag" im Trierer Landgericht. Rundherum herrscht Fastnachtsstimmung, aus dem luftschlangen-dekorierten Büro des Landgerichtspräsidenten dringt Schunkelmusik. Eine Etage höher, im Saal 230, ist niemandem karnevalistisch zumute. Auf der Anklagebank sitzt Joseph Farundai (alle Namen geändert). Der 36-Jährige ist seit 1991 in Deutschland, spricht und versteht offenbar gut Deutsch. Dennoch übersetzt eine Dolmetscherin jedes Wort, es kommt auf Nuancen an. Vor gut sechs Jahren soll Farundai seine damals 16-jährige Stieftochter Manuela vergewaltigt haben. Er spricht leise und stockend, wenn er vom Verhältnis zu dem Mädchen erzählt. Dass er mit seiner Stieftochter geschlafen hat, wie er einräumt, sei "keine schöne Sache", entschuldigt er sich. Aber ein Satz kommt klar und entschieden über seine Lippen: Er habe Manuela "jamais violé", nie sei Gewalt im Spiel gewesen. Sie habe ihn verführt, immer wieder, wenn die Mutter nicht im Haus war.Jahrelange sexuelle Beziehung zur Stieftochter

Fest steht: Die sexuelle Beziehung zwischen Stiefvater und Stieftochter dauerte Jahre, zwei gemeinsame Kinder sind der sichtbare Beweis. Angeklagt sind drei Fälle von Vergewaltigung im Sommer 1997. Angezeigt wurden sie erst Ende 2002. Auch die Staatsanwaltschaft geht offenbar von einer zeitweise durchaus einverständlichen Beziehung aus. Farundai wurde aus der U-Haft entlassen - nicht gerade ein Indiz für eine übermäßig sattelfeste Anklage. Manuela kann an diesem Tag nicht vernommen werden - die Sachverständige, die ihre Glaubwürdigkeit begutachten soll, ist krank. So gerät ihre Mutter unversehens in den Fokus der Verfahrens. Die Geschichte von Karin Peters ist der Stoff, aus dem Alpträume sind. Schon als Kind lernt sie Angst und Gewalttätigkeit kennen. Zwischen dem 18. und dem 30. Lebensjahr bekommt sie fünf Kinder, dann trennt sie sich von ihrem Mann. Mit Joseph Farundai erlebt sie so etwas wie familiäre Geborgenheit. 1995, nach ihrer Scheidung, lernt sie den Asylsuchenden aus Togo kennen, man zieht in Trier zusammen, 1998 wird geheiratet. Er jobbt bei McDonalds und als Gebäudereiniger, ist nach ihrer Schilderung ein liebevoller - und beliebter - Ersatzvater, vor allem bei den jüngeren Töchtern. Dass sich da zwischen ihrer Ältesten und ihrem Mann etwas abspielt, merkt sie fünf lange Jahre nicht - oder will es nicht wahrhaben. Dass ihre Tochter immer mehr aus dem Ruder läuft, entgeht ihr nicht. Drogenprobleme, wechselnde Männerbekanntschaften, Vernachlässigung der Kinder: So ist nach ihrer Beschreibung der Alltag. Über die Vaterschaften macht sie gegenüber der Mutter falsche Angaben, was wohl auch deshalb leicht fällt, weil es an potenziellen Vätern nicht fehlt. Karin Peters beobachtet ein "wachsendes Konkurrenzverhalten" ihrer Tochter, gerät in Wut, als sie eine Kuss-Szene zwischen Joseph und Manuela mitbekommt - aber sie lässt sich damit abspeisen, es sei nur ein "harmloser Ausrutscher" gewesen.Waren die Vorwürfe nur erfunden?

Sie ist misstrauisch, eher gegenüber der Tochter als gegenüber ihrem Mann. Und dennoch: Als Manuela ihr eines Tages nach einem Streit erzählt, ihre ältere Tochter sei die Folge einer Vergewaltigung durch Joseph, geht sie mit ihr zur Polizei, stellt sich auf ihre Seite. Mit ihrem Mann spricht sie nicht, Joseph wird verhaftet. Wochen später, so sagt sie heute vor Gericht, habe Manuela ihr deutlich gemacht, die Gewalt-Vorwürfe seien erfunden. Sie fühlt sich vom Hass ihrer Tochter verfolgt. Dennoch nimmt sie Manuela zeitweise in ihrer neuen Wohnung auf. Als Joseph wieder aus der Untersuchungs-Haft entlassen wird, darf er wieder bei ihr einziehen - trotz des Wissens um den Ehebruch mit der Tochter. Die Kammer tut sich schwer mit der 40-Jährigen, deren Aussage von erheblichem Gewicht ist. Da sitzen Juristen zu Gericht, die gewohnt sind, logisch zu denken, Widersprüche aufzulösen. Ein Mörder aus Eifersucht, ein Betrüger aus Habgier, ein Vergewaltiger aus Triebhaftigkeit: Das aufzuarbeiten, gehört zum Richter-Handwerk. Aber eine Zeugin, die Dinge tut, die nach "normalen" Maßstäben unvereinbar sind, die zur selben Zeit an zwei völlig gegensätzliche Wahrheiten glaubt: Damit kommt das Gericht nicht zurecht. Man versucht, ihr taktische Überlegungen nachzuweisen, hält ihr Widersprüche im Verhalten vor, die sie sich selbst offenkundig am wenigsten erklären kann. Irgendwann reihen sich Missverständnisse aneinander, die Vernehmung endet auf schmerzhafte Weise unbefriedigend. Wie es weitergeht, hängt nun von des Aussage der Tochter ab. Sie ist zum nächsten Sitzungstermin geladen.

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