Viagra, Windkraft, Vielehe

MAINZ/TRIER. (red) Wer Streit mit einer Behörde hat, landet über kurz oder lang vor einem Verwaltungsgericht. Vier davon gibt es in Rheinland-Pfalz, die sich über mangelnde Beschäftigung nicht beklagen können. 11 320 neue Verfahren gingen 2003 ein, 950 mehr als 2002.

Die Verwaltungsgerichte in Rheinland-Pfalz hatten 2003 rund neun Prozent mehr neue Fälle zu bearbeiten als im Vorjahr. Die Steigerung ist - anders als in vorangegangenen Jahren - nicht auf Asylstreitigkeiten zurückzuführen, wie der Präsident des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz (OVG), Karl Friedrich Meyer, in seiner Bilanz mitteilt. Bei Asylverfahren ist die Zahl der Eingänge gegenüber 2002 von 4380 auf jetzt 3920 zurückgegangen. Dagegen hat es erheblich mehr allgemeine Streitigkeiten wie etwa Bauprozesse, beamtenrechtliche Auseinandersetzungen, Numerus-Clausus-Verfahren oder Streitsachen im Ausländerrecht gegeben. Die Ursachen seien vielfältig, so Meyer: Beim Baurecht schlagen zahlreiche Auseinandersetzungen um Windräder zu Buche. Im öffentlichen Dienst würden Einschnitte, etwa in die Beihilfen, zunehmend spürbar. Vermehrte Eingänge in Numerus-Clausus-Sachen lassen sich offenbar auf die schrumpfenden Etats der Unis zurückführen: Immer mehr abgelehnte Bewerber schlagen den Rechtsweg ein, um doch noch den erstrebten Studienplatz zu ergattern. Größere Rückstände bei der Bearbeitung der Fälle seien durch die gestiegenen Eingangszahlen nicht aufgetreten. Die Gesamtbestände aller vier Verwaltungsgerichte, das heißt die zum Jahresende anhängigen und noch nicht erledigten Verwaltungsstreitsachen, liegen mit 3400 Verfahren nicht wesentlich höher als im Vorjahr. Was die Schnelligkeit der Verfahren anlangt, so behielten die rheinland-pfälzischen Verwaltungsgerichte nach eigenen Angaben auch im Jahre 2003 im bundesweiten Vergleich ihren Spitzenplatz. Dauerte Mitte der 90er Jahre ein durchschnittliches Verfahren beim Verwaltungsgericht über ein Jahr, waren es 2003 nur noch viereinhalb Monate. Eilverfahren nehmen durchschnittlich drei Wochen in Anspruch. Beim OVG lag die Dauer der Rechtsmittelverfahren im statistischen Mittel bei nur noch zweieinhalb Monaten, in Eilverfahren bei etwa einem Monat.Auch 2004 wieder im öffentlichen Blickpunkt

Für Diskussionsstoff sorgten 2003 einige Entscheidungen zum Naturschutz, wie etwa die Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses für den so genannten Hochmoselübergang im Januar oder der gegen Ende des Jahres ergangene OVG-Beschluss zum Geysir auf dem Namedyer Werth bei Andernach. Dass es in diesem Bereich mehr Entscheidungen für die Gerichte zu treffen gibt, liegt am neuen Naturschutzrecht. Galt früher häufig "Wo kein Kläger, da kein Richter", haben die anerkannten Naturschutzverbände nun das Recht, Eingriffe in Natur und Landschaft im eigenen Namen gerichtlich überprüfen zu lassen. Auch 2004 stehen beim Oberverwaltungsgericht wieder Fälle zur Entscheidung an, die für größeres Interesse sorgen dürften. Einige Beispiele:Windrad oder Freifläche? Zahlreiche Verfahren beim Oberverwaltungsgericht betreffen Baugenehmigungen und Bauvoranfragen für weitere Windräder, auch in der Eifel. Im Februar 2002 hatte das OVG entschieden, dass der geltende regionale Raumordnungsplan, soweit er nicht ausdrücklich "Ausschlussbereiche" vorsieht, der weiteren Windkraftnutzung nicht entgegengehalten werden kann. Die regionale Planungsgemeinschaft in Trier hat kürzlich den Entwurf eines neuen Raumordnungsplans beschlossen, der mehr Windenergiestandorte als früher, aber auch deutlich mehr Ausschlussbereiche enthält. Das OVG muss klären, welche Konsequenzen dieser Planentwurf für Anlagen hat, die in den neu vorgesehenen Ausschlussbereichen gebaut werden sollen. (Az.: 8 A 11846/03.OVG ).Asyl oder Irak? Ebenso wie bei den Verwaltungsgerichten sind auch beim OVG zahlreiche Asylklagen von Irakern anhängig, die seinerzeit vor Saddam Hussein nach Deutschland geflohen waren. Die bisher ruhenden Verfahren werden nach dem Sturz des Regimes nun wieder aufgegriffen. (Az.: 8 A 10882/02.OVG und 8 A 11143/02.OVG )Zwei Frauen oder nur eine? In diesem Rechtsstreit verlangt eine Irakerin eine Aufenthaltsbefugnis in Deutschland, um hier in einer "mehrehelichen" Lebensgemeinschaft mit ihrem Ehegatten, einem Landsmann, zusammenleben zu können. Dieser ist seit den 70er Jahren mit einer anderen Irakerin verheiratet, die eine Aufenthaltsbefugnis erhalten hat. Das OVG muss entscheiden, ob der "Zweitehefrau" ebenfalls ein Aufenthaltsrecht zusteht. (Az.: 10 A 11717/03.OVG ).Outlet größer oder nicht? Gegen den das Fabrikverkaufszentrum Factory Outlet Center Zweibrücken betreffenden Bebauungsplan des dafür zuständigen Zweckverbandes in Zweibrücken sind beim Oberverwaltungsgericht zwei Normenkontrollanträge der saarländischen Städte Homburg und Neunkirchen anhängig. (Az.: 8 C 10375/03.OVG und 8 C 10390/03.OVG ).Viagra auf Staatskosten? Ein Berufssoldat leidet seit einer Herzerkrankung an Erektionsstörungen und nimmt auf privatärztlichen Rat Viagra. Sein Antrag auf Kostenerstattung im Rahmen der unentgeltlichen truppenärztlichen Versorgung der Bundeswehr wurde abgelehnt. Er klagte. Das Verwaltungsgericht wies seine Klage ab, weil die Heilfürsorge der Soldaten allein auf die Erfordernisse des Wehrdienstes ausgerichtet sei. Nun muss das OVG klären, ob Viagra unter die truppenärztliche Versorgung fällt. (Az.: 10 A 12031/03.OVG ).Napoleon oder die Kirche? Sind die Vereinigten Hospitien, die in Trier Einrichtungen für alte, kranke, behinderte und pflegebedürftige Menschen unterhalten, eine kirchliche oder eine weltliche Stiftung? In einer Personalvertretungsangelegenheit strebt der Verwaltungsrat der Stiftung eine Klärung dieser Frage an. Die Aufsichtsbehörde stellte fest, dass es sich um eine Stiftung des öffentlichen Rechts handele: Die Vereinigten Hospitien seien unter Napoleon gegründet worden, der seinerzeit den geistlichen Besitz säkularisiert und das Armenwesen staatlich geordnet habe. Das Verwaltungsgericht Trier kam dagegen zu dem Ergebnis, dass die Stiftung kirchlichen Charakter aufweise. (AZ.: 7 A 10145/03.OVG ).

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