Von den Fangprämien gelebt

TRIER. Erpressung, Freiheitsberaubung, Betrug: Die Anklage hat schwere Geschütze gegen einen 58-Jährigen aufgefahren, der als Detektiv in der Trierer Innenstadt Ladendiebe, aber auch Unschuldige systematisch geschröpft haben soll. Die Beweisaufnahme dürfte auch ein Licht auf merkwürdige Praktiken im Handel werfen.

"Guten Morgen", ruft der weißhaarige Mann lautstark-jovial in den Raum. 58 Jahre ist Peter Claus B. alt, ein bewegtes Leben liegt hinter ihm. Lebensmittel-händler, Schweißer, Flugzeugbauer, Zeppelin-Entwickler, Pilot, Leihwagen-Zurückholer, Unternehmer, Pleitier, Detektiv: Es klingt spannend, was er erzählt, und er erzählt ebenso gern wie ausführlich. Würde man ihn in der Kneipe treffen, ein unterhaltsamer Abend wäre garantiert. Aber B. trägt Fußfesseln, sitzt auf der Anklagebank, und seine Haare sind nach neun Monaten U-Haft ein paar Zentimeter zu lang gewachsen. Gleich zwei Verteidiger stehen ihm zur Seite - und sie nehmen ihren Job ernst. Noch vor Eintritt in die Beweisaufnahme reklamieren Katrin Munsch und Jörg Ehlen "ein faires Verfahren" für ihren Mandanten. Die Berichterstattung über den Fall und die Äußerungen von Chef-Staatsanwalt Horst Roos über den Angeklagten ("Diesem Herrn wird nichts geschenkt") zeigten "Tendenzen zu einer Vorverurteilung" und einen "gewissen Hang der Anklage zur Polemik".92 Einzelfälle sind angeklagt

Das passt nicht ganz zu dem sachlichen Ton, in dem Staatsanwältin Sabine Blaschyk fast eine Stunde lang die Anklagepunkte vorgetragen hat. 92 Fälle stehen auf der Liste, in den meisten davon wird Peter Claus B. Betrug durch das Kassieren überhöhter "Fangprämien" vorgeworfen. Ladendieben, die in dem von B. bewachten Billig-Laden Bagatell-Diebstähle begangen haben, knöpfte er 100 Euro ab - völlig unangemessen, sagt die Staatsanwaltschaft. Aber das ist nicht der Grund, warum er wie ein Schwerverbrecher vorgeführt wird. In manchen Fällen soll er sich Opfer ausgesucht haben, die gar keinen Diebstahl begangen hatten. In anderen, so die Anklage, hat er Diebe trotz nachgewiesener Personalien widerrechtlich festgehalten, bis sie bereit waren, zu zahlen. Dabei habe er den fälschlichen Anschein erweckt, durch die Entrichtung der Fangprämie könnten die ertappten Täter einer Anzeige entgehen. "Erpressung und Freiheitsberaubung" heißt das, und da geht es um mehrjährige Freiheitsstrafen. Als B. im Juni 2004 aufflog, schlugen die Emotionen hoch. Viele seiner mutmaßlichen Opfer waren Ausländer, Schüler, Senioren - und Kinder. Oft mussten die Eltern mit Bargeld ihren eingeschüchterten Nachwuchs "auslösen". Mehrfach zahlten Lehrer für ihre auf Klassenfahrt befindlichen Schützlinge. Von "perfidem System" sprach der Oberstaatsanwalt. Genau an dieser Stelle sät die Verteidigung ihre Zweifel. Ihre Botschaft: Was der Detektiv aufgegriffen habe, spiegele lediglich die Kundschaft eines Billigpreis-Ladens wider. Und die meisten von B.'s "Klienten" seien eben keine unschuldigen Opfer, sondern Ladendiebe, deren Aufspüren seine Aufgabe gewesen sei. Was die Aufgabe des Detektivs angeht, offenbart die Anklageschrift eine Merkwürdigkeit: Peter Claus B. hat kostenlos für die Ladenkette gearbeitet, die den Billig-Shop betreibt. Mit anderen Worten: Die Fangprämien waren sein einziger Verdienst. Hatte er den Tag über keinen Dieb ertappt, musste er abends ohne Einnahmen in seinen VW-Wohnbus auf dem Trierer Campingplatz zurückkehren, wo er monatelang lebte.Kostenlos für die Ladenkette gearbeitet

Ein solches Prozedere, das krumme Geschäfte geradezu provoziert, ist bei seriösen Unternehmen offenbar unüblich. "So ein Fall ist mir noch nicht begegnet", sagt der Geschäftsführer des Trierer Einzelhandelsverbandes, Alfred Thielen. Normalerweise würden Ladendetektive von ihren Auftraggebern bezahlt. Keine Überraschung, dass der Vorsitzende Richter Rolf Gabelmann ankündigte, auch die Geschäftsinhaber als Zeugen hören zu wollen. Der Prozess wird am 21. März fortgesetzt.

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