Von dicken Brettern und feinen Gefühlen

Trier/Saarburg/Mainz · Politik und Wirtschaft wollen junge Flüchtlinge in Arbeit bringen. Ein Pilotprojekt in Trier und Saarburg zeigt, wie das funktioniert.

Der Rhythmus des Klatschens klingt wie im Fußballstadion, wenn ein Mittelfeldspieler in der letzten Minute zum Freistoß schreitet, 20 Meter Torentfernung, die Chance zum 1:0-Siegtreffer auf dem Fuß, angespornt von einer euphorischen Fankurve. Aurita Jankauskaite-Lepage klatscht in die Hände und klatscht und klatscht. "So klang das", sagt sie dem TV-Reporter und lacht, als sie den Applaus syrischer Flüchtlinge in der berufsbildenden Schule (BBS) in Trier und Saarburg vormacht, wenn sie in die Klasse trat. Sie sagt: "Wenn ich in der Woche davor mal unangenehme Worte wählen musste, zeigte mir die Begrüßung, dass ich wieder willkommen war." Mehrere Monate arbeitete die Litauerin von der Handwerkskammer Trier in einem Pilotprojekt als Kümmerin mit Geflohenen, die gar nicht schulpflichtig waren. Was ist in dem Jahr passiert?

Das ist das Projekt: 18 bis 25 Jahre alt, die Heimat weit entfernt, ohne Job, brüchige Deutsch-Kenntnisse: Mit diesem Fundament lernten Flüchtlinge Deutsch in Volkshochschulkursen, besuchten den Unterricht in den berufsbildenden Schulen, leisteten Praktika in regionalen Betrieben. Seit einem Jahr gibt es das Pilotprojekt landesweit in Trier, Saarburg und Edenkoben. Von den 30 Teilnehmern fanden einige nach dem Jahr eine Arbeit: Ein Flüchtling tritt ab September eine Stelle als Maßschneider an, fünf bekamen einen Ausbildungsplatz als Tischler, Friseur, Anlagenmechaniker oder Stahl- und Betonbauer, einer geht in die Lehre als Rettungssanitäter, einigen Absolventen stehen weitere Einstiegsqualifizierungen offen. Wer noch keinen Ausbildungsberuf habe, stehe dennoch weitaus besser da als vor einem Jahr, sagt Jankauskaite-Lepage. Jeder Schüler habe seine Sprachkenntnisse verbessern, in diverse Ausbildungsberufe hineinschnuppern, Talente erproben können.

Das sind die Erfahrungen: Nach Michael Müller, Schulleiter der BBS Trier, haben alle Seiten dazugelernt. Viele Flüchtlinge hätten erst einmal verstehen müssen, dass Deutschland nicht das gelobte Land sei, das sie in den heimischen Medien wahrgenommen hätten. "Hier gibt es auch einen Niedriglohnsektor, der nicht so stark vom Wirtschaftswachstum profitiert. Und es braucht einen langen Atem, um in einen Beruf zu kommen." Müller sagt, dass es einen festen Kümmerer brauche, der für die Flüchtlinge da sei. Einen Ansprechpartner, der auf Regeln hinweise, wenn Schüler nicht pünktlich am Arbeitsplatz auftauchen. Sie motiviere, wenn sie schnell auf einen Beruf drängten, weil sie nach der Flucht hohe Schulden haben oder die Familie auf Geld wartet. Und jemand, der ein Ansprechpartner für Betriebe und Schulen sei. Aufgaben, die im ersten Jahr Aurita Jankauskaite-Lepage übernommen hat. Die 41-Jährige sagt, sie habe im Umgang mit den jungen Erwachsenen einen roten Faden gehabt, sei liebevoll, aber konsequent gewesen. Auch wenn das nicht immer leicht gefallen sei. Einem Syrer, der in seiner Heimat schon ein IT-Studium begonnen hatte, musste sie klarmachen, dass dessen Sprachkenntnisse nicht ausreichen, um einen solchen Job nahtlos in Deutschland anzutreten. "Es braucht viel Feingefühl, einem Menschen das zu vermitteln und dann einen Neuanfang anzugehen", sagt sie.

So geht es weiter: Da die Mission von Jankauskaite-Lepage endet, hofft die BBS Trier auf einen neuen, festen Kümmerer. Das Problem: Offen ist, wer den bezahlen soll. Das Bildungsministerium teilt auf TV-Anfrage mit, das Land stehe mit den Projektpartnern in direktem Kontakt, um eine Lösung zu finden. Es sei geplant, das Projekt in Trier fortzusetzen. Das gelte auch für Saarburg und Edenkoben. Neue Standorte sollen in Koblenz und dem Landkreis Mainz-Bingen dazukommen. Roland Graßhoff vom rheinland-pfälzischen Initiativausschuss für Migrationspolitik fordert noch zehnmal mehr Ü18-Projekte im Land, um noch mehr Flüchtlingen zu Arbeit zu verhelfen. Jürgen Scholz, Schulleiter der BBS Saarburg, ist auch für eine Fortsetzung. Er freue sich schon: "Integration ist ein dickes Brett, das wir bohren. Aber irgendwann müssen wir ja damit anfangen."KommentarMeinung

Zeigt Kommunen mehr Respekt!Integration ist kein 100-Meter-Lauf, Integration ist ein Marathon. Wie das Rennen endet, hängt maßgeblich von den Kommunen ab. In ihnen leben Betreuer, Übersetzer, Lehrer, Therapeuten, Arbeitgeber, Nachbarn, die sich täglich für ein gutes Ergebnis mühen. Das zeigt der Einsatz einer Mitarbeiterin der Handwerkskammer für junge Geflohene ebenso wie die Betreuung unbegleiteter, minderjähriger Flüchtlinge durch die Jugendämter. Umso ärgerlicher ist es dann, wenn Städte und Kreise über Monate dem Land hinterherlaufen, um ihnen zustehende Millionen für Integrationskosten zu bekommen. Oder wenn der Bund keine klare Ansage macht, mit welchen Mitteln Gemeinden nach 2018 rechnen dürfen. All das lässt gegenüber den Kommunen den nötigen Respekt vermissen. Und das ist doch das Mindeste, was man erwarten kann. f.schlecht@volksfreund.deExtra: ARBEITSAGENTUR SIEHT ERFOLGE IN INTEGRATION

(flor) Nach Angaben der Arbeitsagentur Trier waren in der Region im Juli insgesamt 979 Menschen aus nichteuropäischen Asylherkunftsländern arbeitslos gemeldet. In dieser Gruppe lag die Arbeitslosenquote bei 28,2 Prozent, im Juli 2016 lag sie noch bei 34,9 Prozent. Seit Beginn des Jahres nahmen 205 Menschen einen Beruf oder eine Ausbildung auf. Bei den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten lag die Zahl im Dezember 2016 mit 591 höher als im Jahr zuvor (224). Der operative Geschäftsführer Dirk Hannowsky nennt den Trend erfreulich. Dennoch: Bewerber müssten weiter die Sprach- und Berufskenntnisse lernen, bei Arbeitgebern sollte die Bereitschaft zunehmen, die Bewerber dann auch einzustellen.

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