Von Merkel bis NPD: Ausnahmezustand in Trier am Tag vor der Wahl

Großkampftag für politisch Engagierte und Interessierte am Samstag in Trier: Der Besuch von Bundeskanzlerin Merkel, eine Demonstration von Neonazis und die Proteste gegen den Aufmarsch der Rechten mobilisierten viele Bürger, hielten die Polizei in Atem und verursachten ein ziemliches Verkehrschaos in der Nordstadt. Ein Protokoll.

 Die Teilnehmer der NPD-Demonstration auf dem Marsch zur Porta.

Die Teilnehmer der NPD-Demonstration auf dem Marsch zur Porta.

Foto: Friedemann Vetter

Trier. Viehmarktplatz, 11.05 Uhr. Die regionale CDU-Prominenz steht Spalier, als die Limousinen der Bundeskanzlerin fast auf die Minute pünktlich vor der Europahalle vorfahren. Ein paar neugierige Bürger stehen auf der anderen Seite der Absperrung, aber auch 50 Anti-Atom-Demons tranten haben sich eingefunden und skandieren lautstark "Abschalten" - für Angela Merkel dieser Tage eine ständige Begleitmusik. Im Saal wird es später ruhig bleiben, nur wenige Protestler gehen mit hinein.

Europahalle, 11.30 Uhr. Man merkt Gastgeber Berti Adams an, dass ihm das Reden vor größeren Menschenmengen - es werden um die 800 sein - weniger liegt als das Gespräch im kleinen Kreis und das spontane Organisieren eines Fleischwurst-Ringels für die Bundeskanzlerin. Dafür blüht seine Frontfrau Julia Klöckner vor Publikum richtig auf. Tiefgehende Analysen darf man nicht erwarten, aber es scheint, als mache ihr der Wahlkampf immer noch Spaß, die Rede kommt flott, stellenweise sogar witzig rüber.

Europahalle, 11.55 Uhr. Entweder ist Angela Merkel eine grandiose Schauspielerin, oder es gibt wirklich nichts, was sie aus der Ruhe bringen kann. Atom-Desaster, Euro-Krise, Libyen-Knatsch, Guttenberg: Seit Wochen ist Dauer-Krise angesagt. Dazu dräuen existenzgefährdende Wahlniederlagen. Aber da ist keine Spur Nervosität zu sehen. Brüderle verplappert sich, Altkanzler Kohl tadelt seine Nachfolgerin: Kein Wort darüber, kein Anflug von Ärger auf Merkels Stirn. Käme einer gerade vom Mond zurück und wüsste nicht, was zuletzt passiert ist, er hielte die Rednerin für ein politisches Glückskind.

Porta Nigra, 12.45 Uhr. Endlich haben die Organisatoren der Anti-Rechts-Demo einen Lautsprecher organisiert, der es den 400 Teilnehmern - darunter OB Klaus Jensen - ermöglicht, die Redebeiträge zu hören. Aber so richtig hört eh keiner zu, vielleicht auch besser bei Sätzen wie "Mülltrennung fängt bei der Gesinnung an". Die Sache erinnert bisweilen an das Warm-up von Fußballfans. Einige stimmen Kampfgesänge an, andere rufen "Jetzt geht's los". Aber es sind auch viele Schüler und Studenten dabei, die die Straße nicht einfach den Neonazis überlassen wollen. "Nicht in unserer Stadt", lautet die Parole.

Hauptbahnhof, 13.50 Uhr. Die Protestler haben sich, allen Lenkungsmaßnahmen der Polizei zum Trotz, zum großräumig abgesperrten Hauptbahnhof durchgeschlagen. Dort sammelt sich ein Häuflein von rund 40, 50 NPDlern an der Bushaltestelle hinter einem Lautsprecherwagen. Später kommen noch einmal etwa 30 hinzu. Offiziell ist der Merkel-Besuch Anlass für die Demo. Die Gegner hinter den Sperrgittern sind zahlenmäßig um ein Vielfaches stärker, sie "begrüßen" die Ankommenden mit lauten "Nazis raus"-Rufen.

Hauptbahnhof, 14.55 Uhr. Endlich beginnt der Demo-Zug, nachdem einige Reden der NPDler in den Pfiffen der Protestler untergegangen sind. Die Polizei - es sollen fast 1000 Ordnungskräfte sein - hat entlang der Allee zwischen Bahnhof und Porta einen Sicherheits-Kordon gelegt, der die NPD-Demo von den Gegnern trennt. Die Straßen rundherum sind gesperrt, der Verkehr kommt stellenweise zum Erliegen. Aber die Deeskalation funktioniert weitgehend: Auf der einen Straße ziehen die Neonazis, auf der anderen die Antifa. Nur an der Kreuzung Paulinstraße/Porta kommt man sich gefährlich nah. Auf den NPD-Zug fliegen Eier und Tomaten, vereinzelt auch Flaschen und Steine. Die Polizei nimmt fünf Krawallbrüder fest und spricht 14 Platzverweise aus.

Simeonstiftplatz, 15.40 Uhr. Eine Stunde lang versuchen NPD-Vertreter, mit ihren Reden bei der Kundgebung zu provozieren. Ein Konglomerat von Ausländerfeindlichkeit, Rassismus und Parolen prasselt auf die Zuhörer nieder. Freilich sind die Protestrufe der Gegner so laut, dass außer den mitgereisten NPD'lern, den Journalisten und einigen Polizisten keiner etwas versteht. Die Kundgebung endet mit dem "Lied der Deutschen", gesungen werden alle drei Strophen. Kein Anlass für die Polizei einzugreifen: "Deutschland, Deutschland über alles" ist zwar als Nationalhymne abgeschafft, aber das Absingen ist nicht verboten.

Hauptbahnhof, 17 Uhr. Der Spuk ist vorbei, die Demo endet, wo sie begonnen hat. Der Vorplatz bleibt noch länger gesperrt, die Polizei verhindert bis zuletzt konsequent und professionell jede unmittelbare Begegnung der Kontrahenten. Ihre Bilanz fällt am Ende halbwegs positiv aus: Keine größeren gewaltsamen Auseinandersetzungen, keine ernsthaft Verletzten. Nur der Gegendemonstrant, der vier Polizisten mit Pfefferspray attackiert hat, dürfte mit einem juristischen Nachspiel zu rechnen haben.

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