Warum eine Frau aus der Eifel bei Barack und Michelle Obama im Weißen Haus zum Essen eingeladen war

Niersbach/Washington · Niersbach ist ein kleines Eifelnest, irgendwo zwischen Greverath und Arenrath. Anneliese Karen lebt dort seit Jahrzehnten. Die Rentnerin hat drei Kinder groß gezogen, lange in der Bäckerei im Ort gearbeitet und über viele Jahre hinweg den Volksfreund ausgetragen - alles ziemlich normal irgendwie. Doch vor kurzem erlebt die 71-Jährige etwas Unglaubliches: Der US-Präsident lädt sie zum Essen nach Washington ein.

 Anneliese Karen (vor ihrem Wohnhaus mit einem Kinderbild der Zwillinge Jeff und Brian Mason in der Hand) aus Niersbach in der Eifel

Anneliese Karen (vor ihrem Wohnhaus mit einem Kinderbild der Zwillinge Jeff und Brian Mason in der Hand) aus Niersbach in der Eifel

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 Die 71-Jährige war zu Gast im Weißen Haus bei US-Präsident Barack Obama und seiner Frau Michelle. Das Bild oben zeigt Karen mit den Obamas und ihrem amerikanischen Bekannten, dem Journalisten Jeff Mason (Zweiter von links).

Die 71-Jährige war zu Gast im Weißen Haus bei US-Präsident Barack Obama und seiner Frau Michelle. Das Bild oben zeigt Karen mit den Obamas und ihrem amerikanischen Bekannten, dem Journalisten Jeff Mason (Zweiter von links).

Foto: privat (Anneliese Karen)
Warum eine Frau aus der Eifel bei Barack und Michelle Obama im Weißen Haus zum Essen eingeladen war
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Warum eine Frau aus der Eifel bei Barack und Michelle Obama im Weißen Haus zum Essen eingeladen war
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Niersbach/Washington. Ob Barack Obama sich heute noch an Anneliese Karen erinnern kann, ist nicht sicher. Auch, ob er und seine Ehefrau Michelle beim Abendbrot, daheim im Weißen Haus in Washington D.C., ab und an noch über dieses kleine verschlafene Eifelnest Niersbach sprechen, über das sie mit Anneliese Karen bei deren Besuch in Washington geplaudert hatten, lässt sich nicht eindeutig klären. Vielleicht hat der mächtigste Mann der Welt Frau Karen aus Niersbach mittlerweile schon vergessen - kann sein. Wer will es ihm auch verdenken, zwischen Syrien, Trump und all den anderen Problemfeldern dieser Erde.

Ist aber irgendwie auch egal für diese Geschichte. Denn Frau Karen hat Herrn Obama nicht vergessen. Sie weiß noch alles. Hat jeden Moment in sich aufgesogen, den sie mit ihm verbracht hat, im Weißen Haus in Washington D.C., damals im Dezember 2015. Sie kann alles haargenau wiedergeben. Weiß noch genau, wie sie sich unterhalten haben, wie er seinen Arm zum Erinnerungsfoto um sie legte. Und auch das Gespräch mit seinem Bodyguard geht der 71-Jährigen nicht mehr aus dem Kopf. Sie wird das alles niemals mehr vergessen, niemals. "Dieser Tag", sagt Anneliese Karen, "war der tollste in meinem Leben".
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Um diese Geschichte verstehen zu können, muss man ein paar Jahre zurückgehen - 40 Jahre, um genau zu sein. Damals im Jahr 1976 wohnt Karen mit ihrem inzwischen verstorbenen Ehemann und den drei Kindern in der Köhlerstraße, mitten in Niersbach (Landkreis Bernkastel-Wittlich). In dem Dorf, knapp 20 Kilometer westlich von Wittlich, leben zu dieser Zeit viele Familien aus den USA. Der Grund ist die nahe gelegene Air Base Spangdahlem - viele US-Bürger arbeiten auf dem Flugplatz und leben in Eifelgemeinden wie Niersbach. Auch Fred und Jane Mason aus den Staaten zieht's im Jahr 1976 in den Eifelort zwischen Greverath und Arenrath - das Paar landet im selben Haus, in dem auch Anneliese Karen mit ihrer Familie lebt. "Wir waren uns von Beginn an sympathisch", erinnert sich Karen. Die meisten Amerikaner bleiben in den Eifelgemeinden zu dieser Zeit unter sich, kapseln sich ab. Doch bei den Masons ist das anders. Auch wenn Karen damals kein Englisch spricht und die Masons kein Wort Deutsch, entwickelt sich in den kommenden Jahren eine enge Freundschaft. "Wir haben uns gegenseitig Englisch beziehungsweise Deutsch beigebracht", erinnert sich Karen, "haben uns immer besser verstanden". Nach wenigen Monaten bekommen die Masons Nachwuchs: die Zwillinge Jeff und Brian. "Ich habe oft auf die beiden aufgepasst", erinnert sich Karen, "Jeff hat mich später immer ,deutsche Mama' genannt". Zwei Worte, die knapp 40 Jahre später im Weißen Haus noch mal von Bedeutung werden sollten.
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Nach wenigen Jahren verlassen die Masons die Eifel, ziehen zurück in die Staaten. Der Kontakt zu den Karens in Niersbach allerdings bleibt bestehen. Man telefoniert regelmäßig, besucht sich ab und an - mal in Deutschland, mal in den USA. Besonders Jeff baut eine enge Beziehung zu Deutschland auf. Als er volljährig ist, kommt er im Rahmen eines Stipendiums zurück nach Deutschland, lebt in Boppard und Frankfurt, intensiviert seine Deutschkenntnisse und beginnt danach eine journalistische Ausbildung bei der internationalen Nachrichtenagentur Reuters. "Während dieser Zeit war er öfter in Niersbach bei uns übers Wochenende", erinnert sich Karen, "dann habe ich seine Wäsche gewaschen, und dann ging's wieder zurück nach Frankfurt".
Mason legt eine steile Karriere hin bei Reuters. Nach seiner Ausbildung arbeitet er für die Nachrichtenagentur in Berlin, später in Brüssel, dann wechselt Mason in die USA. Seit 2008 ist er Reuters-Korrespondent im Weißen Haus, gehört zum Stab der Journalisten, die US-Präsident Obama auf seinen Reisen durch die Welt in der Präsidentenmaschine Air Force One begleiten - New York, Sydney, Johannesburg, Berlin und immer wieder Niersbach - so lauten Masons Reiseziele. "Immer, wenn Jeff mal wieder in Berlin oder sonstwo in Europa ist und er es irgendwie einrichten kann, dann besucht er mich hier in Niersbach", sagt Anneliese Karen stolz.
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Im November 2015 schaut Mason mal wieder für ein paar Tage bei seiner ,deutschen Mama' in "Neeschbach" ("Jeff spricht auch Eifeler Platt", Karen) vorbei. Als Karen und Mason beim Abendessen in der Küche zusammensitzen, spricht Karen einen Satz aus, der sich als äußerst folgenreich erweisen wird. "Ich sagte zu ihm", erinnert sie sich, ",eine Audienz bei Obama, das wäre ja mal was'". Herzlich gelacht habe sie daraufhin, erzählt die Seniorin. "Ich habe mir nichts dabei gedacht, es wirklich nur einfach so gesagt." Mason lacht auch, sagt aber nichts dazu. Ein paar Wochen später, Karen kommt gerade vom Adventsbasar im Nachbarort Bruch, entdeckt sie einen Anruf in Abwesenheit auf ihrem Anrufbeantworter. Es ist Mason mit der Nachricht: "Anneliese, wenn du Lust hast, fliegst du in drei Tagen nach Washington D.C. und triffst mit mir zusammen Präsident Obama zum Abendessen." Rumms. Das sitzt. Karen ist von den Socken - alles, was sie vorhin noch auf dem Weihnachtsbasar gesehen hat, ist wie ausradiert. "Für mich war direkt klar: Das mach ich!"
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Gesagt, getan: Mitte Dezember geht's von Frankfurt aus nach Washington. Bevor es in den Flieger geht, muss dringend noch eine Frage geklärt werden: Was zieht man eigentlich an, wenn man beim mächtigsten Mann der Welt zu Abend isst? "Ich habe Jeff angerufen und ihm gesagt, dass ich drei Outfits habe, die zur Auswahl stehen", erzählt Karen. Sie habe dann alle mit in die USA genommen. "Ich habe Jeff nach meiner Ankunft alles vorgeführt. Er hat mir dann gesagt, was am besten zu Obama und seiner Frau passt - genau das habe ich dann angezogen."
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Top gestylt und "extrem nervös" macht sich die Dame aus Niersbach mit Jeff Mason dann am 12. Dezember auf den Weg ins Weiße Haus. Es ist der Abend, an dem Barack und Michelle Obama die Journalisten der Hauptstadtpresse und ihre Angehörigen zum Weihnachtsessen einladen. "Ich wusste ja überhaupt nicht, was mich erwartet", gesteht Karen. "Man muss sich das mal vorstellen: Da soll man plötzlich Barack Obama gegenüberstehen." Erst mal geht's für die Dame aus der Eifel allerdings kreuz und quer durchs Weiße Haus. "Das sind Gänge und Zimmer dort, das glaubt man gar nicht. Alles war so wunderschön weihnachtlich geschmückt."
Bevor es zum Essen geht, gibt's für alle Besucher ein persönliches Treffen mit dem US-Präsidenten und seiner Frau plus Erinnerungsfoto. Karen geht ganz schön die Flatter. "Jeff hat mich immer beruhigt, für ihn war das ja nichts Besonderes, der trifft den Obama jeden Tag, aber für mich als Frau aus Niersbach war das der Hammer." Zur Beruhigung habe es dann erst mal ein Gläschen Champagner gegeben. "Das hat schon mal geholfen", sagt Karen und beginnt herzlich zu lachen.

Dann wird's ernst: Bevor es für die beiden in den Raum geht, in dem Barack und Michelle Obama ihre Gäste einzeln empfangen, müssen Anneliese und Jeff noch ein mal an zwei Sicherheitsleuten vorbei "Die haben mich noch mal befragt. Wollten wissen, wer ich bin - darauf habe ich einfach gesagt: Ich bin die Anneliese Karen aus Niersbach in der Eifel." Der Personenschützer habe mit einem Lächeln auf Englisch entgegnet: "Das ist aber ein schöner deutscher Name." Karen hört die Worte, nimmt sie aber nicht wirklich wahr - zu groß ist die Anspannung, schließlich wartet hinter der Tür der mächtigste Mann der Welt.

Sekunden vergehen. Tick, tack, tick, tack. Dann bitten die Bodyguards die Eifelerin und Jeff Mason zu den Obamas hinein. "Wir sind rein, ganz langsam, und dann standen sie da", erinnert sich Karen. "Er rechts, sie links, an den Seiten geschmückte Weihnachtsbäume, hinter ihnen an der Wand ein Bild von George Washington. Beide strahlten uns an, als wir auf sie zukamen." Obama habe ihrem Begleiter Mason beim Reingehen zugerufen: "Jeff, wen hast du uns denn da mitgebracht?" Worauf der Journalist entgegnet habe: "Das ist meine deutsche Mutter aus der Eifel." Der US-Präsident habe ihr daraufhin die Hand geschüttelt - "sehr fest", wie sie betont - und gefragt, woher sie genau komme. "Ich habe ihm dann auch gesagt, dass ich die Anneliese Karen aus Niersbach in der Eifel bin, er lachte daraufhin, nickte kurz und sagte dann auf Deutsch: ,Toll, heute Abend einen Gast aus Deutschland hier zu haben.'" Danach schüttelt Karen auch Michelle Obama die Hand, es gibt ein bisschen Small Talk, ein Erinnerungsfoto zu viert und die Verabschiedung. "Er hat mir dann noch eine gute Heimreise gewünscht und einen guten Appetit. Dann ging's zum Essen." Karen kann an diesem Abend an nichts anderes mehr denken. Sie ist hin und weg. Dabei trifft sie in den folgenden Stunden am Rande des Dinners noch zahlreiche prominente US-Journalisten, die ihr Mason vorstellt. "Ich war am Ende richtig platt. Es kam mir alles vor wie in einem Traum."
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Anneliese Karen bleibt nach dem Besuch im Weißen Haus noch drei weitere Wochen in den USA bei Mason, seinem Zwillingsbruder Brian und dessen Eltern Jane und Fred und der 100-jährigen Großmutter. Gemeinsam feiern sie Weihnachten. Erst nach dem Fest fliegt sie zurück. "Ich bin stolz, dass sich unsere deutsch-amerikanische Freundschaft aus den 70er Jahren bis heute gehalten hat - dass daraus ein Besuch im Weißen Haus beim US-Präsidenten entstehen würde, hätte ich natürlich nie geglaubt." Vor drei Monaten waren die Zwillinge Brian und Jeff samt Familie mal wieder in Niersbach. In der Grillhütte im Ort haben sie ihren 40. Geburtstag gefeiert. Anneliese Karen war natürlich auch dabei - nur die Obamas, die haben gefehlt.

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