Wein gedeiht auch im Schatten der Brücke

Winningen · Hat der Bau des umstrittenen Hochmoselübergangs Auswirkungen auf die Qualität des Weins? Das zumindest befürchten Riesling-Freunde in der ganzen Welt. Eine schon vor Jahrzehnten gebaute Moselbrücke bei Winningen könnte die Skeptiker Lügen strafen.

Winningen. Das Moseltal in diesen Tagen: Zwischen Ürzig und Zeltingen-Rachtig an der Mittelmosel wird eine Autobahnbrücke gebaut, und die internationale Weinelite schreit auf: Hier, mitten in eine einmalige Wein- und Kulturlandschaft, soll dieses überdimensionale Bauwerk gewuchtet werden. Unvorstellbar! Die Qualität des Mosel-Rieslings, ach was, die Qualität des gesamten deutschen Rieslings sei in Gefahr, schreiben US-amerikanische und britische Weinkritiker sowie französische Gourmets.
Das Moseltal vor knapp 40 Jahren, 110 Kilometer flussabwärts: Zwischen Winningen und Dieblich an der Untermosel wird eine Autobahnbrücke gebaut, und es schreit niemand. Umweltverbände wie der Bund existieren noch nicht. Und aus Sicht der Weinwelt gibt es an der Mosel wohl noch zu wenig, wofür es sich zu kämpfen lohnt: Anfang der 1970er Jahre zählt zwischen Trier und Koblenz eher Quantität als Qualität, das Ansehen der Region ist noch geprägt von weintrunkener Glückseligkeit, nicht von erstklassigem Riesling.
Inzwischen ist das anders - auch und gerade im Schatten der Winninger Moseltalbrücke. Lagen wie Uhlen oder Röttgen bringen dort Spitzengewächse hervor und haben sich weltweit einen Namen gemacht. Dass der Bau des Hochmoselübergangs - oder der B 50 neu, wie es ja eigentlich heißen muss - den Niedergang des Mosel-Rieslings bedeuten soll, das sieht an der Untermosel, die heute lieber Terrassenmosel genannt werden mag, niemand so recht kommen.
Der Geschäftsführer des Weinbauverbands Mosel, Gerd Knebel, wird deutlich: "Durch den Hochmoselübergang eine Bedrohung des gesamten Moselweinbaus zu sehen, ist Schwachsinn", sagt er und ist außerdem überzeugt: "Die Winninger Brücke ist das beste Beispiel dafür, dass es auch an der Mittelmosel durch den Hochmoselübergang nicht zum Ende des Weinbaus in den Toplagen kommen wird." Der Wein im Winninger Uhlen werde schließlich immer besser.
Tatsächlich beeinflusst die vierspurige Autobahn, die direkt an einem Teil seiner Wingerte vorbeiführt, die Qualität seiner Weine nicht, sagt auch der Winzer Reinhard Löwenstein. Gemeinsam mit seiner Frau Cornelia betreibt er das Gut Heymann-Löwenstein in Winningen. Er gilt als Motor der deutschen Terroir-Bewegung. Wenn er von Terroir spricht, dann meint er damit die schöpferische Synthese von Boden, Mikroklima, den Reben und dem Können des Winzers - ein Gleichgewicht, das leicht aus den Fugen geraten kann. Allerdings nicht durch die Brücke: "Wir haben andere Probleme. Etwa das Wetterl, das jedes Jahr anders ist und auf das wir uns immer wieder neu einstellen müssen."
Aufschrei kommt zu spät


Schadstoffe, sagt der Spitzenwinzer, schlagen sich in seinen Weinbergen jedenfalls nicht in erhöhter Konzentration nieder. Und optisch findet Löwenstein die Winninger Moseltalbrücke sogar "ganz sexy". Die moderne Architektur hebe den urigen Charakter der Landschaft hervor.
"Andere Probleme" sieht auch Andreas von Canal, Inhaber des Weinguts Freiherr von Heddesdorf. Denn Spitzenlage bedeutet in Winningen Steillage - und damit hohen Arbeitsaufwand bei oft nur geringem Ertrag. "Das ist die echte Herausforderung", meint der Winzer. Die Auswirkungen der Brücke seien dagegen marginal. Ein Teil seiner Weinberge liegt direkt unter der Autobahn: "Im Sommer bekommen die Trauben dort eine Stunde weniger Sonne, das war\'s."
Der Schattenwurf beschäftigt auch Claus-Martin Richter. Das Weingut Richard Richter, für das er mit seinem Cousin Thomas verantwortlich ist, besitzt unter anderem Flächen im Winninger Uhlen. "Angesichts der Klimaerwärmung ist es gar nicht so schlecht, dass die Reben etwas weniger Sonne bekommen", sagt er. Trotzdem können die Winninger Winzer die Befürchtungen ihrer Kollegen an der Mittelmosel ein Stück weit nachvollziehen. Denn: "Unsere Brücke beeinflusst die Wasserversorgung nicht", erläutert von Canal. Genau das könnte zwischen Zeltingen und Bernkastel anders sein.
Ein Waldstück oberhalb der Rebstöcke, das den Namen Moselsporn trägt, speichert Wasser, das dann langsam in die Schieferböden einsickert. Die Erdarbeiten, so die Angst der Winzer an der Mittelmosel, könnten dieses Wasserreservoir gefährden. Zwar gibt es ein Gutachten des Landesamtes für Geologie und Bergbau, das besagt, dass genau das nicht passieren wird. Aber, sagt Löwenstein: "Es ist ja eine politische Grundsatzfrage, ob man den Fachleuten glaubt oder nicht."
Und dann ist da noch der verkehrstechnische Nutzen des Hochmoselübergangs. Über den, sagt Richter, könne man durchaus streiten. Löwenstein hat eine eindeutige Meinung dazu: "Die Brücke ist nicht notwendig. Volkswirtschaftlich ist sie eine Verschwendung." Der Aufschrei der internationalen Weinelite allerdings, der sei deutlich zu spät gekommen: "Vor 10 oder 15 Jahren, da hätte man protestieren sollen. Aber da waren sich die sogenannten Meinungsführer noch zu fein."Extra

Moseltalbrücke: Lage: Übergang der Bundesautobahn 61 zwischen Winningen und Dieblich (Kreis Mayen-Koblenz); Länge: 935 Meter, Höhe: 136 Meter; Verkehr: 43 000 Fahrzeuge/Tag. Hochmoselübergang: Lage: Übergang der B 50 zwischen Zeltingen-Rachtig und Ürzig (Kreis Bernkastel-Wittlich); Länge: 1,7 Kilometer, Höhe: 158 Meter; Verkehr (Prognose): 25 100 Fahrzeuge/Tag.

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