Weniger ist mehr oder: Viel hilft viel?

TRIER. Wie viel Pflanzenschutzmittel braucht die Landwirtschaft, wie viel verträgt die Natur - und wo verläuft die Grenze dazwischen? Die vom Umweltbundesamt angekündigten Feldbeobachtungen zum Umgang mit Pflanzenschutzmitteln haben diese Diskussion neu angestoßen.

Pflanzenschutzmittel in Landwirtschaft und Weinbau - bei diesem Thema liegen Welten zwischen Bauern und Naturschützern: Wir setzen Pflanzenschutzmitteläußerst restriktiv ein, sagen die Landwirte. Die Hälfte könnte eingespart werden, halten Umwelt-Experten dagegen. Auslöser der neuen Debatten um das alte Thema ist die Ankündigung des Umweltbundesamts, Hinweisen auf Fehler bei der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln nachzugehen - mit umstrittenen verdeckten Feld-Beobachtungen ( TV vom 7. Februar)."Landwirte machen deutlich weniger Fehler"

Hans-Otto Engel glaubt nicht, dass solche Fehler weit verbreitet sind. Landwirte seien heute hoch qualifiziert, sagt der Vorsitzende im Ausschuss Pflanzenbau des Bauern- und Winzerverbands Rheinland-Nassau. Sie bildeten sich laufend weiter, um auf dem aktuellen Stand zu bleiben und gingen mit chemischen Mitteln verantwortungsbewusst um. In Sachen Umweltschutz habe sein Berufsstand im Laufe der Jahre "die Meinung erheblich geändert". "Vorbeugend und generell spritzt man nicht mehr, sondern nur noch dann, wenn es wirklich notwendig ist." Darüber hinaus sei ein restriktiver Umgang mit Spritzmitteln schon aus ökonomischen Gründen angesagt: "Wenn das Spritzen 50 Euro pro Hektar kostet, überlegt man automatisch, wo man sparen kann." Engels Fazit: Vorschriften - etwa was Abstände zu Hecken und Gewässern betrifft, die Wartung von Maschinen oder Ausbringungs-Verbote für toxische Stoffe bei Wind oder mit dem Hubschrauber - werden weitgehend eingehalten. "Landwirte machen heute deutlich weniger Fehler als vor zehn Jahren." Beim Naturschutzbund (Nabu) in Berlin ist man weniger optimistisch. Von dort stammt eine der Studien, die den Anstoß für die Feld-Beobachtungen des Umweltbundesamts gegeben haben. "Es gibt viele Probleme mit den Anwendungsbestimmungen", sagt Nabu-Agrar-Experte Florian Schöne, "vor allem, was die Mindestabstände betrifft". Die bestehenden Regelungen seien zu kompliziert, sie hingen nicht nur vom Spritzmittel ab, sondern auch von dem Objekt, zu dem Abstand gehalten werden solle. "Das muss auf hohem Sicherheits-Niveau vereinheitlicht werden", fordert Schöne. Die Feldbeobachtungen seien nötig, um eine verlässliche Grundlage für die Formulierung entsprechender Gesetze zu erhalten. Weiterer Kritikpunkt des Naturschützers: "Die Absatzmenge von Pflanzenschutzmitteln sinkt nicht, obwohl die Wirkstoffe effizienter werden." Zu häufig gelte das Motto: "Viel hilft viel." Rückstände finde man nicht nur im Wasser, sondern auch in mittlerweile 40 Prozent aller Lebensmittel. Das im vergangenen Oktober von der Bundesregierung vorgelegte "Reduktionsprogramm chemischer Pflanzenschutz" sei ein Schritt in die richtige Richtung, wenn auch noch unzureichend, heißt es beim Nabu. Der Verband hält eine Halbierung der eingesetzten Pflanzenschutzmittel bis 2008 für realistisch. Die Vorstöße der Naturschützer richteten sich nicht gegen die Masse der Bauern, sondern zielten darauf ab, "beratungsresistenten" schwarzen Schafen das Handwerk zu legen, sagt Schöne und sieht sich damit auf der Seite der Bauern-Lobby."Wir müssen fordern und fördern"

Überhaupt ist der Umwelt-Experte um eine Annäherung der beiden unterschiedlichen Welten bemüht: Man dürfe die Landwirte nicht allein lassen mit der Forderung, weniger Pflanzenschutzmittel einzusetzen, sondern müsse ihnen Alternativen aufzeigen - wie man Schädlingen ohne chemische Keule Herr werden könne zum Beispiel, oder wie man durch ein anderes System der Bodenbearbeitung Unkrautvernichtungsmittel spare. "Wir müssen fordern und fördern", zitiert Schöne den Leitspruch der Hartz-IV-Reform. Er passt in diesen Zusammenhang nicht nur inhaltlich, sondern besitzt auch Symbolkraft: als Motto eines umstrittenen Gesetzesvorhabens, das inzwischen allgemein akzeptiert ist.

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