Wenn der Arzt weit weg ist

Berlin · Weite Wege, lange Wartezeiten und keine Besserung in Sicht - besonders in ländlichen Regionen fühlen sich die Patienten abgehängt. Dabei gibt es in Deutschland so viele Ärzte wie noch nie, wie der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) gestern deutlich machte. Das Problem sei allerdings eine ungleiche Verteilung.

Berlin. "Es ist notwendig, die Überversorgung abzubauen, um die Unterversorgung zu bekämpfen", erklärte Verbandsvize Johann-Magnus von Stackelberg in Berlin. Entsprechende Reformideen gibt es zuhauf. Doch offenbar werden sie nur zögerlich umgesetzt.
Exakt 144 058 ambulant tätige Ärzte verzeichnet die aktuelle Statistik der Bundesärztekammer. Das sind über ein Drittel mehr als noch im Jahr 1990. Trotzdem gibt es nach Angaben von Stackelbergs Regionen mit zu wenigen Hausärzten, während in anderen Gebieten mehr Fachärzte ansässig sind, "als für eine gute Versorgung benötigt würden".
Tausende Praxen unbesetzt



Tatsächlich ist die Zahl der Hausärzte seit der Jahrtausendwende stetig gesunken, während die Gruppe der Fachärzte immer größer wurde. Ihr Anteil wuchs in den vergangenen zwölf Jahren um vier auf 57 Prozent. Dagegen verringerte sich der Anteil der Hausärzte im gleichen Zeitraum von 47 auf 43 Prozent.
Über den konkreten Bedarf an niedergelassenen Medizinern gehen die Meinungen allerdings je nach Interessenlage auseinander. So legte die Kassenärztliche Bundesvereinigung gestern Daten vor, wonach bundesweit 2600 Hausarzt- und 2000 Facharztpraxen unbesetzt sind. Laut GKV-Spitzenverband ist dabei allerdings ein Versorgungsgrad von 110 Prozent unterstellt. Auf der Basis einer angestrebten Versorgung von 100 Prozent in allen Gebieten würden bundesweit nur 974 Hausärzte zusätzlich benötigt. Gleichzeitig seien in den überversorgten Regionen aber 2162 Hausärzte zu viel zugelassen, argumentierte die Kassen-Lobby.
Zeitbombe tickt


Patienten, die zu Opfern der Versorgungslücken werden, dürften solche Zahlenspiele kaum trösten. Zumal sich die Situation künftig noch verschärfen könnte.
Laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung werden allein bis 2020 rund 51 000 Ärzte altersbedingt ausscheiden. Und gerade in dünn besiedelten Regionen fällt es älteren Medizinern zunehmend schwer, einen Nachfolger für ihre Praxis zu finden. Auf der anderen Seite wurden 2012 lediglich 1197 Allgemeinmediziner neu zugelassen.
Dass da eine Zeitbombe tickt, ist auch der Bundesregierung nicht verborgen geblieben. Laut Koalitionsvereinbarung sollen die Anreize zur ärztlichen Niederlassung in unterversorgten Gebieten weiter ausgebaut werden. Von einer Förderung von Praxisnetzen ist die Rede, auch von einer besseren Honorierung der Hausärzte und einer stärkeren Öffnung der Krankenhäuser für ambulante Behandlungen. Bereits vor zwei Jahren war das sogenannte Versorgungsstrukturgesetz in Kraft getreten, um mehr Ärzte aufs Land zu locken. Demnach gibt es beispielsweise keine Vergütungsabschläge mehr, egal, wie viele Patienten zu behandeln sind. Zugleich wurde die Residenzpflicht aufgehoben. Das heißt, Ärzte können auch zu ihrer Praxis aufs Land pendeln, wenn ihnen das Stadtleben mehr zusagt.
Prämien für den Landeinsatz


Darüber hinaus wurden in einzelnen Bundesländern spezielle Programme aufgelegt. So bekommen zum Beispiel Medizinstudenten in Sachsen-Anhalt ein höheres Stipendium, wenn sie sich verpflichten, anschließend aufs Land zu gehen.
Kassenverbandschef von Stackelberg lobte die politischen Anstrengungen, hielt sie aber noch nicht für ausreichend. So müsse es interessierten Ärzten erleichtert werden, auch als Angestellte in ihrem Beruf zu arbeiten. "Die fachärztliche Einzelpraxis kann nicht das Standardmodell für die Zukunft sein", meinte von Stackelberg. Obendrein würden in Deutschland viel zu wenige Hausärzte ausgebildet, weil die Spezialisierung immer stärker um sich greife. Deshalb müssten mehr Hausarzt-Fakultäten geschaffen werden, verlangte von Stackelberg.
Bis solche Ideen Erfolge zeitigen, werden viele Patienten allerdings weiter große Entfernungen und lange Wartezeiten in Kauf nehmen müssen.

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