Wenn die Zahl der Operationen das Gehalt bestimmt

Trier · Je mehr Hüftoperationen, desto größer die Gehaltszulage für den Chefarzt: Das System der Bonuszahlungen für Klinikärzte ist bei Medizinern umstritten. Fast jeder zweite Chefarzt soll entsprechende Verträge haben. Kritiker fragen sich, ob so die medizinische Qualität dem Zusatzverdienst geopfert wird.

"Chefarztvertrag - Hilfe beim Verhandeln"; "Zielvereinbarung: Worauf Sie als Chefarzt achten sollten." Wer im Internet nach Bonusverträgen für Chefärzte sucht, stößt schnell auf jede Menge Seiten, die den leitenden Medizinern Tipps geben, worauf sie achten sollten, wenn sie mit ihrem Arbeitgeber Ziele für das kommende Jahr vereinbaren. Da wird vor "ungeeigneten Zielen" gewarnt, etwa die Zufriedenheit der Patienten und Mitarbeiter oder die Verbesserung der Qualität. Derartige Ziele seien nicht messbar und daher für die Durchsetzung des Bonusanspruches "untauglich", heißt es etwa in einem Ratgeber. Im Trierer Brüderkrankenhaus sind aber genau derartige Ziele für Chefärzte vorgegeben, - etwa medizinische Qualität, Mitarbeiter- und Patientenzufriedenheit, wie Kliniksprecherin Anne Britten erklärt. Zu den Zielen zählten auch regelmäßige Mitarbeitergespräche, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und die Zufriedenheit der Ärzte, die Patienten in das Brüderkrankenhaus einweisen. Laut dem Ratgeber im Internet sind aber vielmehr "harte Ziele" sinnvoll, wie etwa die Vorgabe konkreter Sach- oder Personalkosten, der Umfang konkreter medizinischer Leistungen, zum Beispiel Hüftoperationen, oder die Durchführung von Fach- und Werbeveranstaltungen für Patienten und niedergelassene Ärzte. Mit anderen Worten: Einen Bonus, also eine Zulage zum festen Gehalt, gibt es in diesem Fall dann, wenn die Station, für die der Chefarzt verantwortlich ist, nicht mehr ausgegeben hat als vom Klinikträger vorgegeben und wenn eine bestimmte, vorher vereinbarte Zahl von Behandlungen oder Operationen erreicht wurde. Dass Chefärzte an der Einhaltung des Budgets gemessen werden und dafür quasi belohnt werden, hält man bei der rheinlandpfälzischen Krankenhausgesellschaft für legitim. Schließlich stünden die Kliniken unter einem enormen Kostendruck. Die Krankenkassen verlangten Einsparungen, also sei es auch folgerichtig, dass die Führungskräfte, zu denen die Chefärzte gehörten, auch dafür mit Bonuszahlungen honoriert würden, sagt Andreas Wermter von der Krankenhausgesellschaft, die die Interessen von rund 100 Kliniken im Land vertritt. "Die Krankenhäuser müssen sich wirtschaftlich verhalten", erklärt er. Im Bitburger Krankenhaus machen laut Michael Osypka vom Klinikträger Marienhaus GmbH wirtschaftliche Ziele, also etwa Kosteneinsparung und Ertragssteigerung, lediglich ein Viertel des gesamten Bonus für Chefärzte aus. Im gleichen Maße zähle auch die Patientenzufriedenheit oder die Verbesserung der medizinischen Qualität. In Musterverträgen für Chefärzte, die die Deutsche Krankenhausgesellschaft Klinikträgern zur Verfügung stellt, waren bislang "Zielgrößen für Leistungen nach Art und Menge" als Bestandteile der Bonusvereinbarungen genannt.

Zehn Jahre alte Warnungen

Nachdem bekannt wurde, dass Ärzte, etwa in Göttingen, Prämien für jedes transplantierte Organ erhalten haben, stellte die Deutsche Krankenhausgesellschaft klar, dass sich "die Transplantationsmedizin für derartige Zielvereinbarungen nicht eignet". Bereits vor zehn Jahren haben Bundesärztekammer, der Verband der Leitenden Krankenhausärzte und die Ärztegewerkschaft Marburger Bund davor gewarnt, Chefarztverträge an Boni zu koppeln, die sich vorrangig an wirtschaftlichen Zielen der Kliniken orientieren. "Dieser Appell verhallte weitgehend ungehört", sagt Günther Matheis, Vorsitzender der Bezirksärztekammer Trier. Fast jeder Chefarztvertrag sehe Boni vor, die von der Behandlungszahl abhängig seien. Nach neuesten Zahlen soll fast jeder zweite Chefarzt in einer Klinik derartige Bonusverträge haben. Dadurch bestehe das Risiko, dass unnötige Behandlungen ausgeweitet oder bestimmte Eingriffe, die unwirtschaftlich sind, reduziert würden, sagt Matheis, der Lungenchirurg im Brüderkrankenhaus ist. Medizinische Entscheidungen dürften nicht in erster Linie von wirtschaftlichen Kriterien bestimmt werden. "Bonuszahlungen sollten sich daher an der Einhaltung der medizinischen Qualität orientieren", sagt der Kammervorsitzende. Dazu müsse auch die Senkung von Komplikationsraten oder die Mitarbeiterzufriedenheit gehören
HINTERGRUND: BONUSZAHLUNGEN

Immer mehr Chefärzte an deutschen Krankenhäusern erhalten Bonuszahlungen für das Erreichen finanzieller Ziele. "Im Zeitraum von 1995 bis heute hat sich die Verbreitung von Bonusvereinbarungen von etwa 5 Prozent auf inzwischen fast 45 Prozent bei Neuverträgen erhöht", sagte der Experte Christian Näser vom Beratungsunternehmen Kienbaum. Ein Chefarzt erhält demnach Jahresgesamtbezüge von im Schnitt 266 000 Euro. Das Gehalt der Klinik-Führungskräfte insgesamt sei mittlerweile häufig an Leistung und Erfolg gekoppelt. So würden auch 81 Prozent der Geschäftsführer in Kliniken nach ihrer Leistung bezahlt. Der Klinik-Vergütungsreport von Kienbaum wertete Daten von 2414 Mitarbeitern aus 176 Krankenhäusern aus. dpa
EXTRA: KRITIK AN BONI

Scharfe Kritik an den Bonusverträgen für Chefärzte - bis hin zu der Forderung, auf solche Abschlüsse zu verzichten, - hat die Ärztegewerkschaft Marburger Bund geübt. "Das unternehmerische Risiko wird immer stärker auf die Mediziner verlagert", kritisiert Rudolf Henke, Chef der Ärztegewerkschaft. Henke weiter: "Die Boni schaffen falsche Anreize und gefährden die Patientenversorgung. Wir fordern deshalb von den Kliniken, auf solche Zielvereinbarungen zu verzichten." dpa

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