Gesundheit Wenn weniger mehr sein soll: Kliniken im Stress

Gütersloh · Fast 60 Prozent der Krankenhäuser sollten dichtgemacht werden, rät eine Studie. Falsches Rezept, hallt es zurück. Die Wege zur Klinik auf dem Land könnten noch länger werden, ist die Befürchtung.

 Blick  in einen OP-Saal.

Blick  in einen OP-Saal.

Foto: dpa/Patrick Pleul

 Die Diagnose klingt hart, der Einschnitt wäre tief. In einer Studie der Bertelsmann Stiftung raten Experten, von derzeit 1400 Krankenhäusern nur 600 größere und bessere zu erhalten. Nur Kliniken mit großen Fachabteilungen und vielen Patienten hätten ausreichend Erfahrung für eine sichere Behandlung, lautet ein Hauptargument. Viele Komplikationen und Todesfälle seien vermeidbar, wenn man Mediziner und Pflegepersonal auf weniger Häuser mit einer Top-Ausstattung konzentriere.

Aber kommt es dann zu der bitteren Nebenwirkung, dass Patienten es im ländlichen Raum noch weiter haben bis zur nächsten Klinik als bisher?

Diese Sorge treibt viele um. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat das angesprochen, als er bei seiner Tour „Land in Sicht – Zukunft ländlicher Räume“ in der Oberlausitz Station machte. Dort wüssten die Menschen, was es heiße, wenn der Weg „zum nächsten Krankenhaus immer weiter wird“, sagte das Staatsoberhaupt. Und im Westen laufen aktuell Bürger etwa in Sankt Augustin bei Bonn Sturm gegen die geplante Schließung einer Kinderklinik.

„Es braucht eine gut erreichbare Grundversorgung vor Ort ebenso wie eine Hochleistungsmedizin in der Region“, fordert Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung für Patientenschutz. „Über die Hälfte der Krankenhäuser zu schließen, ist kein Konzept, sondern Kahlschlag. Das mag wissenschaftlich begründet sein, wäre für die Menschen aber verheerend“, kritisiert er. Es gehe auch gar nicht immer um komplizierte Operationen. Die Versorgung müsse auch für Patienten sichergestellt werden, die in der Klinik keine Maximaltherapie benötigten. „Das sind vor allem alte, pflegebedürftige und chronisch kranke Menschen.“ Mehr als 60 Prozent aller Klinikpatienten.

In den Städten wäre die Nahversorgung zwar auch bei einer Schließung von Kliniken gesichert, glaubt Jürgen Wasem, Experte für Medizinmanagement an der Universität Duisburg-Essen. Aber: „Im ländlichen Raum sieht das anders aus. Dort stellt sich das Problem der Zugänglichkeit deutlich krasser.“ Die Bertelsmann-Untersuchung räumt dazu auch ein: In ländlichen Kreisen mit unter 75 Einwohnern pro Quadratkilometer – derzeit 28 Kreise in acht Bundesländern – werde es dann wohl kaum möglich sein, binnen 30 Minuten ein größeres Krankenhaus zu erreichen.

Und was sagen die Mediziner? Die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse und der gesetzliche Auftrag der Daseinsvorsorge stehe über allem, unterstreicht die Bundesärztekammer. „Gerade im ländlichen Raum müssen wir die flächendeckende Versorgung der Patienten sicherstellen.“ Die Deutsche Krankenhausgesellschaft findet: Wer 1000 Akutkrankenhäuser „plattmachen“ wolle, propagiere genau das Gegenteil dessen, was die von der Regierung eingesetzte Kommission „gleichwertige Lebensverhältnisse“ erst vor Tagen für die ländlichen Räume gefordert habe (siehe Interview unten).

Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen begrüßt dagegen die Empfehlungen aus Gütersloh. In Ballungsgebieten gebe es zu viele Kliniken, die sich Konkurrenz machten, sagt Sprecherin Ann Marini. Die ländlichen Regionen müsse man aber anders betrachten. Hier förderten die Kassen bereits  Kliniken mit prekärer Finanzlage. Und 2020 komme ein neuer Zuschlag für 120 unentbehrliche Häuser hinzu.

 Der Weg zum Krankenhaus_InterRed

Der Weg zum Krankenhaus_InterRed

Foto: TV/Schramm, Johannes

Fakt ist, dass die Finanzen mancher Kliniken nicht gerade gesund sind. Laut Deutscher Krankenhausgesellschaft hat jede dritte Klinik 2017 rote Zahlen geschrieben. Der Marburger Bund meint allerdings: „Krankenhäuser sind keine Profitcenter, sondern Teil der staatlichen Daseinsvorsorge.“ Ökonomen könnten leicht von Zentralisierung und Kapazitätsabbau „fabulieren“. Schmerzhaft treffen werde das aber besonders ältere und wenig mobile Menschen.

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