"Wer will schon Mitglied in einer Partei sein?"

Mainz · Die etablierten Parteien leiden unter Mitgliederschwund - und das schon seit Jahren. Ist dieser Trend noch zu stoppen? Oder sterben die Parteiendinosaurier langsam aus, hat TV-Redakteur Rolf Seydewitz den Mainzer Politikprofessor Thorsten Faas gefragt.

Ist es Politikverdrossenheit, oder warum laufen den Parteien die Mitglieder davon?
Faas: Zunächst einmal muss man sagen, dass ja nicht nur Parteien, sondern generell Großorganisationen - etwa Kirchen oder Gewerkschaften - mit der Herausforderung rückläufiger Mitgliederzahlen konfrontiert sind. Vor diesem Hintergrund ist es Ausdruck eines geänderten Zeitgeists. Im Fall von Parteien kommt aber sicherlich noch hinzu, dass Politik und eben gerade auch Parteien ein schlechtes Image in der Bevölkerung haben. Wer möchte da schon Mitglied in einer Partei sein? Das spiegelt sich übrigens auch in den Motiven wider, warum Menschen noch Mitglied in einer Partei sind: Ämter anzustreben ist heute wichtiger als früher bei Parteimitgliedern. "Aus Spaß an der Freude" oder aus Überzeugung dagegen sind es zunehmend weniger Menschen.

Warum gibt es offenkundig große Unterschiede bei den prozentualen Verlusten der einzelnen Parteien?
Faas: Das hat zuvorderst etwas mit der Altersstruktur der Mitgliedschaften der Parteien zu tun - im Durchschnitt sind die Mitglieder von SPD und CDU schlicht älter als die anderer Parteien.
Aber gerade Austritte spiegeln häufig auch Unzufriedenheit mit der aktuellen Politik einer Partei wider. Für die Union dürfte sich die aktuelle Flüchtlingspolitik (negativ) auswirken, denn sie stößt ja in Teilen der Union auf Ablehnung.

Was bedeutet der Mitgliederrückgang für die Parteien?
Faas: Das hängt ein wenig davon ab, welche Arten von Mitgliedern Parteien verlieren. Ein (zuvor) aktives Mitglied zu verlieren, ist für eine Partei schmerzlich, denn damit geht Einsatzkraft in Wahlkampfzeiten, aber auch generell eine Schnittstelle in die Bevölkerung verloren. Eine "Karteileiche" zu verlieren, ist dagegen weniger schlimm. Zugleich muss man sagen, dass Mitglieder für die Parteien auch eine Ressource sein könnten, die von den Parteien gar nicht vollends genutzt werden.

… und was bedeutet es für die Finanzen der Parteien?
Faas: Das kommt natürlich hinzu - einerseits durch den Verlust der Mitgliedsbeiträge, andererseits auch bedingt durch den Faktor, dass die staatlichen Zuschüsse, die Parteien aus guten Gründen bekommen, gedeckelt sind und sich auch an den eigenen Einnahmen der Parteien - etwa Mitgliedsbeiträgen - orientieren.

Welche Möglichkeiten gibt es denn, den Mitgliederschwund zu stoppen?
Faas: Wenn das so einfach wäre … Einen Zeitgeist dreht man nicht mal eben um, das zeigen auch die schon länger rückläufigen Zahlen. Die Parteien experimentieren ja auch viel - Schnuppermitgliedschaften, Beteiligungsmöglichkeiten auch für Nichtmitglieder, projektbezogene Mitarbeit. Aber ein Patentrezept war da bisher noch nicht dabei. seyExtra

Thorsten Faas ist Professor für Politikwissenschaft in Mainz. Der 40-jährige gebürtige Idar-Obersteiner gehört dem Präsidium der Deutschen Gesellschaft für Wahlforschung an. seyExtra

Der Mainzer Politikprofessor Thorsten Faas ist skeptisch, dass der Mitgliederschwund bei den etablierten Parteien zu stoppen ist. Ähnlich sieht das auch sein Trierer Kollege Uwe Jun. "Die Parteien haben ein riesiges Rekrutierungsproblem", sagte Jun vor einiger Zeit im Interview mit unserer Zeitung . Die Einschätzung des Trierer Parteienforschers: Es spreche wenig dafür, dass die Mitgliederpartei ein Comeback erleben werde. Der Berliner Politologe bringt es so auf den Punkt: "Wenn ein junger Mensch in den Ortsverein reinschnuppert und sieht, die beschäftigen sich nur mit der Abwasserzweckverbandsabgabe, und man will die Welt retten, dann ist das nicht so prickelnd." sey

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