"Wie in einem Süßigkeitenladen"

Trier · Wenn Flüchtlinge über 18 Jahren lernen wollten, mussten Schulen sie oft abweisen. In Trier und Saarburg ist das nun anders. Dort sollen Flüchtlinge nun Deutsch lernen - und in den Arbeitsmarkt eingebunden werden.

 „Wo ist Peter?“ Michelle Dimmer gibt den Flüchtlingen in der berufsbildenden Schule in Trier Sprachunterricht. TV-Foto: Florian Schlecht

„Wo ist Peter?“ Michelle Dimmer gibt den Flüchtlingen in der berufsbildenden Schule in Trier Sprachunterricht. TV-Foto: Florian Schlecht

Foto: (g_pol3 )

Mayada Alwan hat einen Wunsch. Die 19-Jährige will irgendwann als Apothekenhelferin arbeiten. "In Mathe, Chemie und Physik hatte ich immer gute Noten", sagt die Syrerin, die mit ihrer Familie aus Damaskus nach Deutschland geflohen ist. Nun drückt Alwan in Trier erst einmal wieder die Schulbank - und lernt Sätze wie "Er ist beim Arzt" und "Wo ist Peter?". Die Syrerin büffelt Deutsch, um dem Traum von der Apotheke näherzukommen.

Mayada Alwan nimmt an einem Pilotprojekt des Landes teil. 16 Flüchtlinge, die älter sind als 18 Jahre, besuchen neuerdings die berufsbildende Schule (BBS) in Trier. Sie pauken in Sprachkursen, gehen in die Fachklassen, nehmen Kontakt zu Betrieben auf - und leisten dort Praktika. Das Ziel, so Schulleiter Michael Müller, sei auf Dauer eine Ausbildung. Auch die berufsbildenden Schulen in Saarburg und Edenkoben bieten Flüchtlingen eine solche Chance, die volljährig sind.Erster Fortschritt

Es ist ein erster Fortschritt nach langen Diskussionen zwischen Politik, Wirtschaft, Schulen und Hilfswerken. Eigentlich dürften die Flüchtlinge den Unterricht nicht besuchen, weil sie in ihrem Alter keiner Schulpflicht mehr unterliegen.
Berufsschulen mussten die Schüler abweisen, die das 18. Lebensjahr überschritten hatten. Müller bedauerte das. "Es gibt viele Flüchtlinge, die motiviert sind, aber keinen Schulabschluss haben." Er wittert die Gefahr, Betroffene könnten in halblegalen Beschäftigungsverhältnissen landen. Bewährt sich das neue Projekt, könne es auf mehrere Standorte im Land ausgebaut werden, sagt die rheinland-pfälzische Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD). Sie wendet ein, es sei gar nicht so einfach, Teilnehmer für Klassen zu finden, die älter als 18 seien. "Einige wollen direkt Geld verdienen, um es ihren Familien zu schicken oder Schleuser davon zu bezahlen."

Michael Müller hält es für unverzichtbar, dass sich Schulen um ältere Flüchtlinge kümmern. "Es ist einfach wichtig für die jungen Menschen, die Sprache zu lernen. Im Umgang mit Kunden ist sie das A und O."

Die BBS in Trier greift schon auf Erfahrungen mit Flüchtlingen zurück - 100 besuchen die Schule insgesamt. Es ist ein buntes Bild, schildert Müller. "Vom syrischen Akademiker bis zum afghanischen Ziegenhirten, vom Sprachgenie bis zu dem Schüler, der noch gar nicht lesen kann." Es gebe Personal, das sich nur um Flüchtlinge kümmere. Und er erlebe Hilfsbereitschaft. Grundschullehrer seien schon freiwillig an die BBS gekommen, um das Alphabet zu lehren. Schüler hätten Freistunden ge opfert.

Müller sieht so darin auch eine Chance, über Lohn und Brot hinaus. "Es sollte selbstverständlich sein, dass der Kevin neben dem Hussein sitzt und beide sich kennenlernen", sagt er. Geht es um die Berufswahl, übt sich Müller bei den neuen Schülern in Geduld. "Die Männer und Frauen haben von manchen Berufen noch nie was gehört. Für einige ist das, wie in einen Süßigkeitenladen zu gehen und nicht zu wissen, was man kaufen soll."

Mayada Alwan weiß, was sie will. In die Fußstapfen ihrer Familie treten, in der viele in Syrien ihr Geld mit medizinischen Berufen verdient haben. "Ich will in der Apotheke arbeiten", sagt sie. Und blättert auf die nächste Seite ihres Sprachbuchs.Mehr zum Thema

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