Willkommen im Dreyer-Land

Mainz · Großer Rückhalt für die Ministerpräsidentin: Die Landes-SPD setzt all ihre Hoffnungen auf Malu Dreyer und trägt deren personellen Erneuerungskurs voll mit. Parteichef Roger Lewentz muss mit einem kleinen Dämpfer leben.

Mainz. Es gibt englische Wörter, die man besser nicht wörtlich übersetzt. Zum Beispiel das Wort "Shitstorm". Der Duden verrät, das sei ein "Sturm der Entrüstung in einem Kommunikationsmedium im Internet".
Parteichef Roger Lewentz nimmt dieses Wort am Samstag beim SPD-Landesparteitag in Mainz in den Mund. Er bezieht es auf CDU-Chefin Julia Klöckner, die es liebe, "wie ein Tsunami durchs Regierungsviertel zu fegen". Manche, meint Lewentz grinsend, sprächen schon von einem "Shitstorm auf Pumps".
Okay, wir tun es jetzt doch: "Shit" heißt Scheiße, "Storm" heißt Sturm. Das soll also die Oppositionsführerin sein? "Eine unglaubliche Entgleisung", entrüstet sich noch während des Parteitags CDU-Generalsekretär Patrick Schnieder schriftlich.Offenbar behagt auch manchen Genossen diese Art der Attacke nicht besonders. Später bei der Wiederwahl zum Parteichef bekommt Roger Lewentz nur noch 89,9 Prozent der Delegiertenstimmen. Zwei Jahre zuvor waren es 95,3 Prozent.
Die neue Arbeitsteilung der Führungsspitze - Lewentz als Mann fürs Grobe, zusätzlich noch der neue Parteivize und SPD-Fraktionschef Alexander Schweitzer, die Ministerpräsidentin dagegen als feinsinnige thematische Denkerin - gefällt den Sozialdemokraten sehr wohl. Sie huldigen "unserer Malu" förmlich beim Parteitag.
Es gibt praktisch niemanden in der Mainzer Phönixhalle, der die große Kabinettsumbildung der Regierungschefin nicht begrüßt. Es sei ihr menschlich nicht leicht gefallen, aber das Signal sei unumgänglich gewesen, erklärt Dreyer. Ihr Credo: Nur so kann die SPD ihre Leistungen in den Vordergrund rücken, anstatt weiterhin vom Nürburgring-Skandal überrollt zu werden. "Ich weiß, wo ich stehe. Ich bin mit mir im Reinen", versichert Dreyer.
Mit dem Nürburgring hält sich die Ministerpräsidentin nicht lange auf. "Lasst die CDU weiter in der Vergangenheit weilen. Wenn sich die CDU weiter am Gestern abarbeiten will, dann ist sie dort auch gut aufgehoben", erklärt sie. Die SPD hingegen sei "zurück in der Zukunft!".
Die Ministerpräsidentin beschreibt in ihrer sachlichen Rede detailliert und präzise, wie sie sich diese Zukunft vorstellt. Punkt 1: Die Digitalisierung ist Dreyers wichtigstes Thema an diesem Tag. Die Ministerpräsidentin widmet ihm breiten Raum. Gerade im ländlichen Raum werde künftig schnelles Internet benötigt. Der technologische Fortschritt und der damit einhergehende tiefe Strukturwandel könnten sogar die "Rettung eines Dorfes" sein.
Rheinland-Pfalz sei auf gutem Weg, müsse jedoch besser werden. Deshalb werde man als erstes Bundesland noch in dieser Wahlperiode eine Machbarkeitsstudie mit dem Ausbauziel 300 Megabit (MB) pro Sekunde durchführen. Zum Vergleich: Bislang sind laut Dreyer 70 Prozent aller Orte im Land mit 30 MB versorgt, in manchen Städten wie Trier werden 100 MB erreicht.
Punkt 2: Gute Bildung als Voraussetzung für Fortschritt und Wohlstand: "Wir setzen auf gute Unterrichtsversorgung, kleine Klassen und bauen die Ganztagsschulen weiter aus."
Punkt 3: Rheinland-Pfalz biete, was Familien suchen: "Beim Kita-Ausbau sind wir spitze. Diesen Weg setzen wir fort und bleiben gebührenfrei", sagt Dreyer.
Punkt 4: Fachkräfte und gute Arbeit: Darunter versteht Dreyer soziale Sicherung, gute Bezahlung, Mitbestimmung und Arbeitsschutz. Die Landesregierung unterstütze Unternehmen mit ihrer Fachkräftestrategie bei der Suche nach Fachkräften.
Punkt 5: Selbstbestimmt leben, gemeinschaftlich wohnen: Die Regierungschefin erklärt, der Ausbau von gemeinschaftlichen Wohnprojekten für ältere und pflegebedürftige Menschen liege ihr "am Herzen". Ihre Vision sei, dass es in jedem Dorf ein solches Wohnprojekt gebe. 100 seien es landesweit bislang, 150 sollten es bis 2016 werden.
Punkt 6: Flächendeckende medizinische und pflegerische Versorgung: Erneut fällt das Stichwort Digitalisierung. Sie biete laut Malu Dreyer gerade im ländlichen Raum Chancen, denn durch Telemedizin würden Hausärzte entlastet und die Versorgungsqualität verbessert.
Punkt 7: Wissenschaft und Wirtschaft Hand in Hand: Wieder widmet sich die Ministerpräsidentin dem Thema Digitalisierung. Industrie 4.0 beschreibe den Strukturwandel, den die Digitalisierung für die Wirtschaft bedeute. Um diesen zu meistern, setze die Landesregierung auf eine enge Kooperation von Wissenschaft, Wirtschaft und Technologie. Kaiserslautern sei eine Stadt, wo dies mustergültig gelinge.
Malu Dreyers Fazit: "Wir sind die Partei mit einem klaren Kompass. Wir arbeiten an fortschrittlichen Konzepten über 2016 hinaus." Sie selbst brauche die Partei, "ich brauche eure Energie, eure Ideen und euer Vertrauen".
Genau dieses Vertrauen genießt die Ministerpräsidentin in vollem Umfang. Die rund 400 Delegierten folgen ihr willig auf dem Weg in die Zukunft, den sie aufgezeigt hat. Ein Sturm der Begeisterung bricht nach ihrer Rede aus, minutenlang wird sie beklatscht. Der "Shitstorm" zu Beginn des Parteitags ist längst aus den Köpfen.
Willkommen im wohligen Malu-Dreyer-Land.Extra

Aus Protest gegen den Verkauf des Nürburgrings an einen russischen Oligarchen haben etwa 400 Menschen vor der Mainzer Phönixhalle - auf das Gelände durften sie nicht - und mit einem Autokorso durch die Innenstadt demonstriert. Große Empörung löste ein Kommentar der SPD Westerwald im sozialen Netzwerk Facebook aus. Darin hieß es, es wären "einige Versprengte heute der Meinung, dass der Ring der Nabel der Welt ist, er ist es nicht ganz". Werner Lenhard, Sprecher der Bewegung Wir sind Nürburgring, dazu: "Hier wird erstmals offen ausgesprochen, was viele Menschen der Eifel schon länger vermuten: Dass es nicht darum geht, für die Bürger der Eifel eine optimale Lösung zu finden, sondern die Partei vor der nächsten Wahl von einem unangenehmen Thema reinzuwaschen".fcgExtra

Parteichef: Roger Lewentz (89,9 Prozent). Parteivize: Alexander Schweitzer (94,7 Prozent), Doris Ahnen (88,5 Prozent), Hendrik Hering (81,9 Prozent). Generalsekretär: Jens Guth (86,6 Prozent). Schatzmeister: Dieter Feid (97 Prozent). Beisitzer: Kathrin Anklam-Trapp, MdL, Salvatore Barbararo, Doris Barnett, MdB, Jürgen Conrad, Hayat Erten, Alexander Fuhr, MdL, Christoph Glogger, Anna Gros (Trier), Michael Kissel, David Langner, Jacqueline Rauschkolb, MdL, Beate Reich, Astrid Schmitt, MdL (Daun), Sven Teuber (Trier), Klaus Weichel, Fredi Winter, MdL.fcg

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