"Willst du einen Mörder kennen lernen?"

TRABEN-TRARBACH/TRIER. Akribisch rollt die 1. Strafkammer des Trierer Landgerichts das Verfahren gegen den 34-jährigen Michael R. wieder auf, der sich wegen Geiselnahme und Vergewaltigung verantworten muss (der TV berichtete). Zeitweise sitzen vier Sachverständige im Gerichtssaal.

Der Bundesgerichtshof, der das Verfahren aufgrund einer Revision der Staatsanwaltschaft an das Trierer Landgericht zurückgegeben hat, war nicht sparsam mit Hinweisen auf Schwachstellen beim ersten Urteil. So kann die neue Kammer millimeterweise abklopfen, was den obersten Richtern unzureichend geklärt schien. Man geht auf Nummer Sicher. So gesellen sich zu dem Glaubwürdigkeits-Gutachter und seiner Kollegin, die über die Therapierbarkeit des Täters urteilt, ein Facharzt, der den Drogenkonsum des Opfers einschätzen soll und ein Rechtsmediziner, der sich mit dem Verletzungsbild beschäftigt, hinzu. So kompliziert die rechtliche Bewertung, so klar erscheint zumindest auf den ersten Blick die Geschichte, die die Vorsitzende Richterin Irmtrud Finkelgruen sorgfältig aus dem Angeklagten und dem Opfer herausfragt. Ein junger Mann kommt nach mehrjähriger Jugendstrafe in die Gegend zurück, wo er vor fast einem Jahrzehnt einen brutalen, unbegreiflichen Mord begangen hat. Seine Umwelt fühlt sich bedroht, reagiert mit Abweisung. Dass er seine Strafe weit gehend verbüßt hat, zählt nicht viel. Aber auch sein eigenes Auftreten trägt nicht dazu bei, ihn zu resozialisieren. Drogen, Schlägereien, Gewalt. An der Theke stellt ihm eine Bekannte ein junges Mädchen vor. "Willst Du einen Mörder kennen lernen?", so führt sie ihn ein. Die 22-Jährige, die vor ihm steht, ist selbst labil, hat Suchtprobleme, Beziehungsstress, falsche Freunde, dazu ein eineinhalbjähriges Kind. Das Unglück will, dass beide zusammenkommen. "Warum, weiß ich selber nicht", sagt sie heute beim Prozess. Sie stellt ihren neuen Freund den Eltern vor, einem Beamten und einer Verkäuferin. Die Mutter, so erzählt sie vor Gericht, erkennt ihn aus "Aktenzeichen XY". Ein Albtraum. Der Vater, je nach Blickwinkel gutmütig oder naiv, will ihm eine Chance geben. Die Mutter hält ihn für einen "Asi", der "nichts ist für unsere Tochter". Das sagt sie ihm auch. Aber je größer der mütterliche Druck wird, die Beziehung abzubrechen, um so hartnäckiger hält sie daran fest. Er wird Stammgast in ihrer Wohnung, kümmert sich sogar mit um das Kind. Zugleich entwickelt er einen Hass auf ihre Mutter, schiebt ihr die Schuld an wachsenden Zwistigkeiten zu. Das Paar bewegt sich auf einer Achterbahn zwischen Sucht, Gewalt und dem Versuch einer Art von Familienleben. Er dröhnt sie mit Geschichten über seine kaputte Kindheit zu, sie nervt ihn mit ihrer Tabletten-Abhängigkeit.Verteidigung sät Zweifel

Bis zu jener frühmorgendlichen Stunde im Mai 1999, als Michael R. das Kind seiner Lebensgefährtin aus dem Fenster gehalten haben soll, um sie zu sexuellen Handlungen zu zwingen. Was er bestreitet. Fest steht, dass die Nachbarin aufgrund von Schreien die Eltern der Frau alarmierte, und dass sie massive Schlagverletzungen erlitten hatte. Fest steht aber auch, dass sie zunächst keine Anzeige erstattete, am nächsten Tag zu ihm zurückkehrte, später sogar, als er wegen eines anderen Delikts in Haft saß, von Heirat redete. Das sät Zweifel, um deren Vergrößerung sich der Verteidiger bemüht. Allerdings ergeben sich bei der Vernehmung des Opfers keine Indizien für Falschaussagen. Die Abneigung gegen den Angeklagten, den sie nur beim Nachnamen nennt, ist zwar zu jeder Sekunde spürbar. Aber wo die Befragung auf Fakten dringt, die strafverschärfend wirken könnten, sagt sie auch Entlastendes. Und die von der Verteidigung ins Spiel gebrachte Möglichkeit, es könne sich bei dem Vorgang mit dem Kind um eine Einbildung nach Drogen-Genuss handeln, fegt der Gutachter beiseite. Es wird immer enger für den Angeklagten. Das Verfahren wird am 23. Januar fortgesetzt.

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