"Wir arbeiten so viel wir können"

Wer eine Klage vor dem Trierer Sozialgericht einreicht, braucht gute Nerven und viel Zeit. Bis zu einem Jahr dauert es, bis es zur Verhandlung kommt. Eine Rentnerin aus der Nähe von Trier erlebt das gerade.

Trier. Anneliese Schmitt (Name geändert) ist ein geduldiger Mensch. Eigentlich. Angesichts ihrer Erkrankung ist das erstaunlich. Sie leidet seit Jahren an einer chronischen Emphysebronchitis, eine schwere Lungenerkrankung. Das Atmen fällt ihr zunehmend schwerer, ohne Sauerstoffgerät kann sie nicht mehr aus dem Haus gehen. Mehr als 20 Meter Gehen ist nicht drin, dann muss sie stehen bleiben, bekommt kaum noch Luft. Der Zustand der 68-jährigen Rentnerin, die zusammen mit ihrem Mann in einem Einfamilienhaus in der Nähe von Trier lebt, hat sich in den vergangenen Monaten verschlechtert. "Lebensqualität habe ich keine mehr", sagt die gebürtige Kölnerin. Es klingt nicht verbittert, denn ihren Lebensmut hat die Rentnerin nicht verloren. So oft es nur geht, versucht sie die Zeit mit ihren beiden Enkeln, zwei und acht, zu verbringen. Auch wenn es sie traurig macht, dass sie nicht mit ihnen draußen im Garten spielen kann, auch Spaziergänge sind kaum möglich. Doch was sie mehr als diese Einschränkungen ärgert, ist die Ablehnung ihres Antrags auf eine außergewöhnliche Gehbehinderung. Was zunächst im Zusammenhang mit einer Lungenerkrankung abwegig klingt, hat einen nachvollziehbaren Hintergrund: Wegen ihrer Kurzatmigkeit kann Schmitt keine weiten Wege mehr gehen, jeder Arztbesuch wird zur Tortur. Mit der Einstufung als außergewöhnlich gehbehindert hätte sie das Recht auch Behindertenparkplätze, die zumeist in der Nähe von Arztpraxen liegen, zu benutzen, oder sie dürfte zu bestimmten Zeiten direkt vor Praxen in der Trierer Fußgängerzone fahren. Doch das Amt für soziale Angelegenheiten hat den Antrag von Schmitt abgelehnt. In dem Gutachten, das ohne Untersuchung der Rentnerin erstellt wurde, werden die Einschränkung der Lungenfunktion und auch eine erhebliche Gehbehinderung anerkannt. Aber für eine außergewöhnliche Gehbehinderung reiche das Krankheitsbild nicht aus, heißt es in dem dreiseitigen Befund. Hohe Arbeitsbelastung

Schmitt hat dem Gutachten widersprochen, zumal ihre Ärzte genau das Gegenteil von dem, was das Amt für soziale Angelegenheiten festgestellt hat, diagnostiziert haben. Sie hat vor dem Sozialgericht geklagt. Das war vor über einem Jahr. Es gibt noch immer keinen Termin für ihre Verhandlung. Aufgrund der "hohen Arbeitsbelastung" könne noch kein genauer Termin genannt werden, teilte ihr der zuständige Sozialrichter im Dezember vergangenen Jahres mit. Dass das Gericht seit einiger Zeit nicht mehr im regulären Umfang mit sechs Richtern besetzt sei, gebe es noch jede Menge anhängiger und vorrangiger Verfahren. Er selbst, so teilte der Richter der Rentnerin mit, sei für 500 anhängige Verfahren zuständig, hinzu kämen noch über 490 neue Verfahren. Man habe damals den Klägern bewusst die Situation so offen geschildert, um ihnen klarzumachen, dass es kein böser Wille sei, dass sich die Verfahren so lange hinzögen, sagt Jürgen Olk, Sprecher des Trierer Sozialgerichts. Auch wenn es mittlerweile zu einer personellen Verbesserung bei dem Gericht gekommen ist, kann von einer wirklichen Entspannung nicht die Rede sein. 1800 Fälle sind derzeit anhängig. Man habe durchaus Bedarf für ein, zwei zusätzliche Richter, gibt Gerichtspräsident Jürgen Didong unumwunden zu. Frustriert ist er nicht: Man könne ja nichts an der Situation ändern: "Wir arbeiten so viel wir können." 30 bis 35 Verfahren kommen pro Monat auf einen Richter. Neben eilig zusammengeschusterten und damit ungenau formulierten Gesetzen, die nicht selten zu einer Klagewelle vor den Sozialgerichten führen, sind es auch zum Teil sehr aufwendige Verfahren, die Richter oft monatelang binden, etwa wenn es um Schwarzarbeit und Sozialversicherungsbetrug geht. Dann müssen die gesamten Unterlagen eines Unternehmens durchforstet werden - das dauert, in der Zeit müssen andere Verfahren warten. So wie das von Anneliese Schmitt. "Für den Stadionbau in Kaiserslautern hat das Land Geld, nicht aber für zusätzliche Richter. Das ist eine Schande", ärgert sich die Rentnerin.

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