"Wir sind die wahre Opposition"

MAINZ. Vom Ressortchef der Justiz zum Oppositionschef der FDP: Als gelernter Anwalt ist Herbert Mertin geschult im schnellen Umschalten von Pro auf Kontra – auch im Mainzer Landtag. Beim Attackieren der neuen SPD-Alleinregierung werden sich die Liberalen auf vielen Feldern allerdings noch eine Zeit lang zurückhalten müssen, saßen sie doch 15 Jahre im selben Boot.

Das Büro ist kleiner - vom Mitarbeiterstab ganz zu schweigen. Herbert Mertin sitzt nach siebeneinhalb Jahren seit ein paar Tagen nicht mehr im Sessel des Justizministers, sondern im noch kahlen Zimmer des FDP-Fraktionsvorsitzenden. Doch den Wechsel von "einem Stress-Job zu nächsten" nimmt er nach den für die Liberalen unerfreulichen Folgen der Landtagswahl betont gelassen. "Wir sitzen nicht niedergeschlagen da und hängen der Vergangenheit nach, sondern machen das Beste aus unserer Oppositionsrolle", sagt der 48-jährige Jurist. Kärrnerarbeit wartet auf den Koblenzer, der dafür sorgen will, dass die regierungsverwöhnte Partei auch als Opposition weiterhin wahrgenommen wird, im Parlament und auch draußen im Land. Mehr als einmal dürfte sein Part dabei zur Gratwanderung werden, wenn die kritische Abrechnung mit der neuen Regierung als politischer Bumerang zur FDP als bislang mitverantwortlichem Bündnispartner zurückzukommen droht. "Natürlich können wir nicht auf alles draufschlagen, denn wir haben in der Koalition vieles gemeinsam getragen", sagt Mertin und spricht von einem "stückweit fließenden Übergang". Dennoch sieht er kein Problem, gegen ein von Ministerpräsident Kurt Beck propagiertes "SPD pur" nun ein FDP pur zu setzen.Amtsinhaber unter Beobachtung

Mit Argusaugen wollen die Freidemokraten beobachten, ob die neuen Amtsinhaber an den jährlichen 100 Millionen Zuschlag für die Verkehrsinfrastruktur festhalten. In der Bildungs- und Hochschulpolitik hatten sie ohnehin seit Langem andere Akzente, die jedoch dem Koalitionskompromiss untergeordnet wurden: die Zulassung von Studiengebühren, mehr Geld für die Universitäten, Zentralabitur nach zwölf Jahren, Abschlussprüfungen für Haupt- und Realschulen. Auch Ankündigungen von Beck in seiner Rolle als neuer SPD-Bundesvorsitzender werden mit Argwohn beobachtet. Wer beitragsfreie Kindertagesstätten ohne Finanzierungsplan verspricht und mit seiner Partei gleichzeitig im Bund die Kürzung der für das Land wichtigen Gelder für den Schienenverkehr mitträgt, bietet aus Mertins Sicht breite Angriffsflächen. Überhaupt rechnet er damit, dass noch einige Male Becks Doppelrolle als SPD-Chef und Ministerpräsident für Interessenskonflikte sorgen könnte. Die FDP werde weder heimlicher Koalitionspartner der SPD sein noch mit der CDU das Bündnis in der Opposition suchen, versichert Mertin. Die große Koalition in Berlin bietet ihm zudem die willkommene Chance, sich zu beiden abzugrenzen. Ob Widerstand gegen die umstrittene Mehrwertsteuererhöhung oder das Antidiskriminierungsgesetz, für den FDP-Mann steht jetzt bereits fest: "Die einzig wahre Opposition im Land sind wir." Erheblich weniger Druck können die Liberalen künftig als kleinere Oppositionsfraktion bei ihrem Schwerpunkthema Kommunalreform machen. Mertin rechnet ohnehin damit, dass Becks Elan, sich des heiklen Themas anzunehmen, gebremst sein wird. Der Ministerpräsident wolle Kanzlerkandidat werden und möglichst keine Unruhe ins Land bringen, ist er sich sicher. Bis Herbst 2009 werde daher auf diesem Gebiet kaum etwas passieren, und dann stehe schon die Landtagswahl 2011 vor der Tür, prophezeit Mertin und sieht bereits die berühmte lange Bank, auf die schwierige Fälle so oft geschoben werden. Ein Feld mehr, als Opposition Punkte zu sammeln, so die Rechnung der Liberalen.

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