Wird in Frankreich der Atomstrom knapp? - "Ein Blackout kann nicht ausgeschlossen werden"

Paris · Ein Dutzend Atomkraftwerke sind in Frankreich derzeit nicht in Betrieb, weil sie auf mangelhaften Stahl hin überprüft werden. Im Winter könnte es deshalb zu Energieknappheit kommen.

Paris. Seit zehn Tagen sind die Bäume entlang der Champs-Élysées wieder dicht mit Lichterketten behängt. Der Strom für die kleinen Lämpchen der Weihnachtsbeleuchtung kommt von der Solaranlage Thémis in den Pyrenäen und nicht aus einem der 58 Atomreaktoren Frankreichs. Damit hat die Pariser Stadtverwaltung eine gute Entscheidung getroffen, denn ausgerechnet im Land der Nuklearenergie könnte in diesem Winter der Atomstrom knapp werden.

"Gibt es Strom an Weihnachten?", fragte die Zeitung Le Figaro vor einigen Tagen. "Ein Blackout kann nicht ausgeschlossen werden", sagt die Atomexpertin von Greenpeace Deutschland, Susanne Neubronner. Der Grund: Mangelhafter Stahl in den Dampferzeugern führte zur Überprüfung von zwölf Reaktoren, darunter auch in Fessenheim an der Grenze zu Deutschland.

Mindestens einen Monat lang bleiben sie abgeschaltet, wie der Chef der Atomsicherheitsbehörde ASN, Pierre-Franck Chevet, vergangene Woche ankündigte. Acht weitere Meiler werden einer Jahresrevision unterzogen, so dass gut ein Drittel der französischen AKW erst einmal ausfällt.
Beim Druckwasserreaktor EPR in Flamanville, der gerade gebaut wird, hatte die ASN den fehlerhaften Stahl in Deckel und Bodenplatte im vergangenen Jahr zuerst festgestellt. Doch andere, bereits funktionierende Atomkraftwerke haben dasselbe Problem: zu viel Kohlenstoff, der den aus der französischen Schmiede Creusot stammenden Stahl brüchig macht.

Nicht nur französische, sondern auch belgische und Schweizer Anlagen sind betroffen. "Dort ist die Überprüfung noch gar nicht vollzogen", bemerkt Neubronner.Heizungen besonders bedroht


In Frankreich nahm die ASN die betroffenen Reaktoren ausgerechnet zu Beginn der kalten Jahreszeit vom Netz. Der Netzbetreiber RTE warnte deshalb bereits Anfang November vor Engpässen, die vor allem die Heizung treffen könnten. Denn in Frankreich, wo 75 Prozent der Energie aus den Atomkraftwerken kommt, heizt etwa ein Drittel der Haushalte mit Elektroheizungen.
"Bei starken und anhaltenden Kältewellen, bei denen die Werte unter Normalmaß sinken, könnte RTE zu außergewöhnlichen Maßnahmen gezwungen sein", erklärte der Betreiber. Dazu könnte auch eine stundenweise Stromabschaltung in einigen Regionen gehören. Am Montag will RTE eine App vorstellen, die bei akutem Strommangel die Haushalte warnen soll. Die sollen dann die Heizung herunterdrehen, unnötiges Licht ausschalten und darauf verzichten, die Waschmaschine in Stoßzeiten anzustellen.

Trotz der RTE-Warnung versuchte Umwelt- und Energieministerin Ségolène Royal zu beruhigen: "Es gibt kein Risiko eines Engpasses", sagte sie im Radio. Die Sozialistin setzt auf eine Informationskampagne, die die Franzosen zum Energiesparen ermutigen soll. "Wenn die Geräte aller Büros und Haushalte nicht mehr im Stand-by sind, ist damit die Energie eines Reaktors gewonnen", rechnete sie vor. Neben dem Energiesparen bleibt Frankreich der Stromimport aus dem Ausland, um seinen Bedarf im Winter zu decken. Frankreich habe auf dem internationalen Strommarkt eine Importkapazität von 12 000 Megawatt, also 13 Reaktoren, schreibt die Zeitung Le Monde. Als Importländer kämen Großbritannien, Belgien, Deutschland, die Schweiz, Italien und Spanien infrage - "vorausgesetzt, dass diese einen Produktionsüberschuss haben."Stromimporte stark gestiegen


Schon im Oktober musste Frankreich laut RTE 40 Prozent mehr Strom importieren als im vergangenen Jahr. Die Exporte fielen dagegen um 89 Prozent. Die Probleme der französischen Reaktoren trieben auch die Strompreise nach oben: Sie erreichten Spitzenwerte von mehr als 100 Euro pro Megawattstunde. Im September hatte der Durchschnittspreis noch bei rund 40 Euro pro Megawattstunde gelegen.

Die erneuerbaren Energien können die Lücke in der kalten Jahreszeit nicht schließen. Die sozialistische Regierung hatte zwar angekündigt, den Anteil des Atomstroms bis 2025 auf 50 Prozent abzusenken und dafür alternative Energiequellen zu stärken. Doch im dritten Quartal 2016 betrug der Anteil "grüner Energie" aus Wind, Sonne, Wasserkraft und Biomasse gerade mal 20 Prozent. Zum Vergleich: in Deutschland waren es 2015 bereits rund 30 Prozent. "Frankreichs Probleme mit der Stromversorgung zeigen, wohin es führen kann, wenn man keine Alternativen zur Atomkraft aufbaut", warnt Neubronner.

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