Zar kontra Sultan: Putins heftige Drohrede zur Lage der Nation

Moskau · Präsident Putin macht einen gelassenen Eindruck, als er am Donnerstag im Georgs-Saal des Kreml zum 12. Mal seit Amtsantritt vor mehr als 15 Jahren eine weitere Rede zur Lage der Nation hält. Ein Ritual, das sich jeden Dezember wiederholt - vor 1000 Honoratioren, Amts- und Würdenträgern.

Moskau. Für einen Politiker, dessen Land sich gerade mit dem Nachbarn Türkei überworfen hat, dessen Ostukraine-Feldzug gescheitert ist und dessen annektierte Krim-Neubürger seit zwei Wochen ohne Strom dasitzen, beweist der Präsident eiserne Nerven. Nur die Türkei bringt Wladimir Putin ein wenig aus dem Gleichgewicht. Vor seiner Rede zur Lage der Nation hat er die Versammlung zu einer Schweigeminute für die im Konflikt mit der Türkei vorige Woche gefallenen Soldaten aufgerufen. Die beiden Witwen hat man aus der Provinz nach Moskau geholt, sie sind unter den geladenen Gästen.

"Verrat ist immer eine Schande. Wer unseren Flieger abgeschossen hat, wissen wir ganz genau", sagt Putin. Seit vorige Woche die russische SU-24 bei der vermeintlichen Verletzung türkischen Luftraums von einer Maschine Ankaras vom Himmel geholt worden ist, bekriegen sich die Despoten Putin und Erdogan. Gnadenlos und uneinsichtig. Putin verlangt eine öffentliche Entschuldigung. Moskaus mediale Agenten würden daraus spielend einen Kotau des Sultans vor dem Zaren zaubern. Der Neo-Osmane sperrt sich. Fließend beherrschen beide nur die Sprache der Gewalt.
Die türkische Führung werde den Abschuss "noch mehr als einmal" bereuen, droht Putin. "Wir wissen, was zu tun ist", sagt der Kremlchef, ohne konkrete Angaben zu machen. Nur so viel: "Mit Tomaten kommen sie nicht davon." Damit spielt der Staatschef auf das verhängte Einfuhrverbot für türkisches Obst und Gemüse an. Das Thema lässt den Redner nicht mehr los.
Das Verteidigungsministerium hat am Vortag bereits nachzuweisen versucht, dass die Familie des türkischen Präsidenten Recep Erdogan in den Ölhandel mit dem Islamischen Staat verwickelt sei. Putin gestern dazu: "Kriminelle Geschäfte mit den Verbrechern" dürfe es nicht geben. Die Komplizenschaft mit Terroristen werde man nie vergessen. Putin: "Wir wissen, wer sich in der Türkei das Geld in die Tasche steckt."
Das klingt alles etwas wirr und ressentimentgeladen - weshalb der Kremlchef wohl auch den Allmächtigen zu Hilfe ruft: "Allah beschloss, die regierende Clique in der Türkei zu bestrafen, und raubte ihr den Verstand."
Neue Ideen präsentiert der Kremlchef nicht - dafür Durchhalteparolen, wonach russische Waren vor dem Hintergrund westlicher Sanktionen auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig werden könnten. Das klingt alles sehr optimistisch - oder: utopisch. Wie denn auch die Utopie das eigentliche Genre der Rede zur Lage der Nation ist. Vorgaben müssen nicht eingehalten werden, niemand fragt jemals wieder nach. Etwa zu den angekündigten harschen Maßnahmen gegen Korruption. Zu dem Thema erlaubt sich die Kameraführung des Staatsfernsehens, den Generalstaatsanwalt Jurij Tschaika einzublenden, der zwei Stunden zuvor Anschuldigungen als fabriziert zurückgewiesen hat, die der Anti-Korruptions-Fonds des Oppositionellen Alexei Nawalny erhebt. Der Familie Tschaika wird Korruption im großen Stil zur Last gelegt. Die Söhne sollen enge Verbindungen in die Unterwelt genutzt und mit Kapitalverbrechern kooperiert haben. Der Kameraschwenk ist eine Warnung und eine Beruhigung für den Staatsanwalt. Nach dem Motto: Wir halten zu Dir, wenn Du zu uns hältst. Aber wir wissen alles.
Eigentlich müssten Sultan und Zar sich bestens verstehen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort