Zügel für die Wissbegierde

MAINZ. Lauschangriff, Videoüberwachung, Terrordatei: Seit 16 Jahren versucht Walter Rudolf, die wachsende Wissbegierde des Staates gegenüber den Bürgern in Grenzen zu halten. Politiker verlieren im Amt leichter Hemmschwellen, ist sich der Landesdatenschützer sicher. Doch zum Abschied muss der 75-jährige Rechtsprofessor auch ernüchtert feststellen: Auf Schnäppchen-Jagd lässt der Mensch oft jede Angst vor Ausforschung fallen.

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Foto: - (dpa)

Wann immer Behörden etwas wissen, speichern oder abfragen wollen, ist Walter Rudolf (Foto: dpa) von Beruf aus skeptisch. Trotz aller Fortschritte beim Datenschutz bleibt nach seiner Einschätzung die Angst vor dem Überwachungsstaat real. Sollten im Rahmen der Terrorismusbekämpfung wirklich demnächst Daten auf Vorrat gespeichert werden, ist dies für ihn "völlig absurd". Im Rechtsstaat könne doch nicht jeder als vorbeugende Maßnahme zu einem Verdächtigen gemacht werden, ereifert sich der Staats- und Verfassungsrechtler, der seit 1991 im Nebenamt als Landesdatenschützer fungiert und, obwohl seit Jahren emeritiert, noch immer Vorlesungen an der Uni Mainz hält. Ob zunehmende Videoüberwachung, biometrische Ausweise oder Verkehrsüberwachung, überall ist laut Rudolf der Datenschutz gefordert, um Grenzen zu setzen. Waren zu Beginn seiner Amtszeit in erster Linie juristische Schranken gefragt, muss jetzt vor allem der rasanten technischen Entwicklung hinterhergejagt werden, die überall auch Sicherheitslücken hinterlassen. Der parteilose Jurist und jahrelange Staatssekretär im Justizministerium erinnert sich an den Mann, der in einem Mainzer Café über Laptop die Telefonate der Umgebung abhörte und anschließend das Innenministerium informierte, oder an den 22-jährigen Computerfreak, der unter Aufsicht zur allgemeinen Erschütterung die Datensicherung der Finanzverwaltung knackte. Haben die Datenschützer bei Behörden inzwischen meist schon Beraterstatus und sind im Vorfeld bei einer "Aufrüstung" der elektronischen Verwaltung eingebunden, kann sich Rudolf nur noch wundern, wie wenig der Normalbürger bei seinen privaten Datenströmen auf Sicherheit achtet. "Über das Internet zu kommunizieren, ist wie Postkarten schreiben", sagt der Experte und ist erschrocken, wie etwa auf einer Schnäppchen-Jagd über das keineswegs so anonyme weltweite Netz jeder Skrupel in Bezug auf die eigenen Daten fallen gelassen wird. Ob private Gespräche am Handy auf der Straße oder geschäftliche Kontakte im Zug, die Masse der Bevölkerung geht bei aller Sensibilität für den öffentlichen Datenschutz und Angst vor Ausforschung gleichzeitig im persönlichen Bereich leichtsinnig mit Privatsphäre um. Auch beim Einkaufen werden für kleine Rabatte Kundenkarten in Kauf genommen, die den Firmen viel über das Einkaufsverhalten verraten. Doch der erste Datenschutzbeauftragte des Landes ist nur für den Datenschutz der Behörden zuständig. Heute wird Rudolf offiziell von Landtagspräsident Joachim Mertes verabschiedet. Als Nachfolger wählt das Parlament auf Vorschlag aller Fraktionen den 56-jährigen Edgar Wagner (SPD), bislang Abteilungsleiter der Landtagsverwaltung.

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