Zum Sterben in die Garage

ESCH. Es gibt Dinge, die mag man einfach nicht glauben. Und doch sind sie bittere Realität. Mitten im luxemburgischen Esch/Alzette wurde ein todkranker Mann von seiner Frau in die Garage zum Sterben abgestellt. Und keiner kann ihm helfen.

Die Geschichte wurde publik, als die Putzfrau eines älteren Escher Ehepaares ihrer Freundin von dem unglaublichen Schicksal des schwer kranken, bettlägerigen Ehemannes erzählte, der von seiner eigenen Frau mit seinem Bett ganz einfach in der Garage des Hauses abgestellt worden ist. Die Freundin erzählte der Escher Schöffin Vera Spautz vor etwa zwei Wochen von dem Fall.Diese alarmierte daraufhin den Sozialdienst "Service social de proximité", der zwei Sozialhelferinnen nach dem Rechten sehen ließ. Was aber nicht so einfach war, denn von der Hausherrin wurde beiden zwar kurz die Garagentür geöffnet, so dass sie den Mann in seiner misslichen Lage zwar sehen konnten, ihn aber nicht sprechen durften. Als sie die Frau darauf aufmerksam machten, dass es dringend notwendig sei, dass ihr Mann in ein Spital gebracht würde, um entsprechend gepflegt zu werden, wollte sie davon nichts wissen und schlug beiden die Tür vor der Nase zu.Bett auf Palliativstation stand schon bereit

Beim Roten Kreuz, unter deren Fittichen der Sozialdienst Service social de proximité funktioniert, wurde eiligst darüber befunden, welche Maßnahmen zu ergreifen seien. Ein Bett wurde speziell für den Mann auf der Palliativstation des Escher Spitals reserviert, aber es sollte schlussendlich leer bleiben und wurde später wieder abbestellt. Denn aller guter Wille scheiterte an unüberwindlichen administrativen Hürden.Eine Nachfrage der Escher Schöffin ergab, dass es laut Gesetz nicht möglich sei, den Mann aus seiner Lage zu befreien. Das ginge wohl für ein Kind und auch für ein Tier, nicht aber für einen mündigen Menschen. Dieser müsse schon höchstpersönlich seine Rechte beanspruchen, hieß es bei den Behörden. Nun verhält es sich aber so, dass der Mann, der, laut Aussagen der Putzfrau, schon seit August in einem Bett in der Garage sein erbärmliches Dasein friste, seit einigen Tagen wie tot auf seinem Lager liege.Vera Spautz ist von dem Schicksal des todkranken Mannes derart aufgewühlt, dass sie bereit ist, alles zu tun, um ihm zumindest ein würdiges Sterben zu gönnen. Davon will die Frau, mit der sie inzwischen telefonischen Kontakt hatte, aber nichts wissen.Im Gespräch erläuterte die ältere Dame der engagierten Schöffin in barschem Ton, dass sie nach drei Rückenoperationen selbst nicht in allerbester körperlicher Verfassung sei, dass sie aber keinesfalls gewillt sei, ihren Mann sozusagen aus dem Haus zu geben. Und herein lassen wolle sie auch niemanden. "Hei kënnt keen eran" ("Hier kommt keiner rein"), beendete sie alle Bemühungen von Vera Spautz. "Hie wollt jo ëmmer eng Garage" ("Er wollte ja immer eine Garage") und "Wëllt Dir mech embréngen?" ("Wollen Sie mich umbringen?"), sagte sie weiter und gab im gleichen Atemzug an, ihren Mann zu lieben, ihn aber nicht mehr im Schlafzimmer gleich neben der Garage zu dulden. Sie werde, so raunzte sie die Escher Schöffin an, doch nicht für die paar Monate die Möbel alle wegschmeißen, um sich dann neue kaufen zu müssen.Pflegehilfe von außen lehnt sie auch kategorisch ab, da dieses Personal seine Arbeit nicht anständig machen würde. Sie selbst ist aber wohl auch nicht in der Lage, ihrem Mann die dringend notwendige Hilfe zukommen zu lassen.Eine Gasheizung, damit ihm nicht kalt wird

So lag der Mann nun in der Garage in seinem Bett unter einer Decke und bewegt sich nicht mehr, wie die Haushaltshilfe beobachtet hat. Und daneben steht eine Gasflasche mit Heizaufsatz. Damit ihm nicht kalt wird.Aus dem Gespräch mit der Frau, so Vera Spautz, gehe unmissverständlich hervor, dass das Hauptthema das Geld sei. Sie wolle unter allen Umständen die Pflegeversicherung kassieren, die ihr dann gestrichen würde, wenn ihr Gatte anderswo als zu Hause behandelt würde. Also hat Vera Spautz zum letzten Strohhalm gegriffen und vergangene Woche die Escher Polizei kontaktiert. Doch auch hier lehnte man bedauernd ab. Es liege keine Straftat vor. Und da auch der im Ausland lebende Sohn des Paares scheinbar keinen allzu großen Anteil am Schicksal seines Vaters nimmt, wie Vera Spautz und die beiden Rot-Kreuz-Helferinnen bestätigten, bleibt der schwer kranke Mann wohl seinem Schicksal überlassen.Zumindest einen kleinen Lichtblick gab es, nachdem die luxemburgische Zeitung "Tageblatt" am Wochenende über den Fall berichtete. Der Mann wurde von seiner Frau mit einer Helferin wieder in sein Wohnzimmer gebracht. Auch die Polizei schaltete sich nach dem Pressebericht noch einmal ein und besuchte zusammen mit einem Arzt die Familie. Der Arzt stellte jedoch fest, dass der Mann im Sterben liege und sich im Koma befinde. Eine Überführung ins Krankenhaus, so urteilte er, sei nicht mehr nötig. Der Autor Fränk Hary ist Redakteur der luxemburgischen Tageszeitung "Tageblatt".

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