Zwei Mediziner sind zu viel für eine Praxis

Bernkastel-Kues · Angesichts des Ärztemangels auf dem Land löst der Fall eines Mediziners in Bernkastel-Kues Erstaunen aus: Er hat eine Nachfolgerin gefunden, mit der er gemeinsam in seiner Praxis arbeitet. Aber er muss sich mit ihr eine Stelle teilen. Denn laut Kassenärztlicher Vereinigung (KV) ist der Bereich Bernkastel/Traben-Trarbach mit Medizinern überversorgt. Die Ärzte gehen gegen die KV-Berechnung vor.

Bernkastel-Kues. Das neue Schild "Gemeinschaftspraxis Dr. Karl-Günter Kirsch und Astrid Schlieter" hängt an der Arztpraxis in Bernkastel-Kues. Hausarzt Kirsch ist es gelungen, eine Nachfolgerin zu finden. Aber die Freude ist begrenzt. "Da wir im Bereich Bernkastel/Traben-Trarbach laut Statistik der Kassenärztlichen Vereinigung hier mit eineinhalb Ärzten überversorgt sind, dürften wir gar nicht zusammen tätig sein. Deshalb gab es vorerst nur die Möglichkeit, sich einen niedergelassenen Sitz zu teilen", sagt Kirsch. Das heißt: Er hat einen halben Arztsitz, Schlieter den anderen. Arbeiten beide deshalb nur halbtags? Nein, aber "so müssten wir es in der Tat handhaben, da unser Budget nur nach einer ganzen Stelle bemessen wird. Das widerspricht aber dem realen Aufkommen", sagen beide.
Kirsch ist seit 31 Jahren in Bernkastel-Kues als Hausarzt tätig, wird im Dezember 65 Jahre. Vor 15 Jahren, sagt er, seien 1300 Scheine pro Quartal abzurechnen gewesen. "Wenn wir nun noch Urlaubsvertretungen übernehmen, kommen wir auf über 1900 Patienten pro Quartal." Im Durchschnitt seien 1700 Kassenpatienten in der Sprechstunde. Die kommen meist nicht nur einmal, sondern öfter in die Praxis. "Das ist eine Zahl, die kaum allein zu bewältigen ist."
Deshalb war Kirsch über die Verstärkung und den Fortbestand seiner Praxis erfreut. Er will bis September 2016 praktizieren. "Ich wusste, dass hier jemand gesucht wurde und Bedarf vorhanden ist", sagt Astrid Schlieter (47). Deshalb habe sie Kirsch kontaktiert. Dass die KV von einer Überversorgung spricht, Kirsch und Schlieter sich den Sitz bei doppelter Arbeit teilen müssen, wollen sie nicht hinnehmen und haben eine Anwältin eingeschaltet.
Dr. Ingeborg Haas aus Mainz sagt: "Wir werden zunächst ein förmliches Verfahren anstoßen und einen gesamten Sitz für die Ärzte einfordern. Die kalkulierten Zahlen der KV decken unserer Ansicht nach in keiner Weise die realen Fallzahlen ab. Selbst wenn Dr. Kirsch aufhört, hat Frau Schlieter keine Sicherheit, die zweite Hälfte der Stelle zu bekommen. Sie könnte also theoretisch weiter nur einen halben Sitz behalten."
Im gängigen Verfahren schreibt die KV nach Aufgabe eines Arztsitzes diesen öffentlich aus. Auf vakante Stellen kann man sich bewerben. Die Zukunft von Schlieter und der Praxis ist so ungewiss. Haas sagt: "Ob die Zahlen, die die KV annimmt, stimmen, das prüfen wir. Zudem laufen die Ärzte sehenden Auges in den Regress: Wenn sie zu viele Patienten behandeln, übersteigen sie ihr Budget."
Auf der Homepage der KV ist zu lesen: Jede Leistung werde mit Punkten aufgerechnet. Hat beispielsweise eine Praxis 30 EKG gemacht, dürften je nach Größe nur 27 abgerechnet werden. Kirsch und Schlieter sagen: "Zum Ende eines Quartals können wir nur noch kleine N1-Packungsgrößen verschreiben, da wir gedeckelt sind." Es gibt drei Packungsgrößen von Medikamenten: N1 wird in der Regel zur akuten Behandlung verschrieben und beinhaltet Tabletten, die für einen maximalen Zeitraum von etwa zehn Tagen reichen. Patienten, die auf Dauer Medikamente zu sich nehmen müssen, werden N3-Varianten verordnet. So müsse "der Patient die Zuzahlung leisten oder er wartet bis zum neuen Quartal", sagen Kirsch und Schlieter. Dr. Katrin Keller ist Hausärztin in Lieser und wie Kirsch im Zusammenschluss Netzpraxis Mittelmosel vertreten. Sie steht in ein paar Jahren vor der gleichen Situation und sagt: "Wir würden uns wünschen, dass die KV hinter den Kassenärzten steht und man gemeinsam gute Wege findet." Wolfgang Port, Stadtbürgermeister in Bernkastel-Kues, sagt: "Wir brauchen dringend Ärzte, nun hätten wir jemanden, und der wird blockiert." Dieser Fall zeige, dass gegen den Hausärztemangel nichts getan werde. So sieht es auch Landrat Gregor Eibes. Er sagt: "Die KV-Berechnungen entsprechen längst nicht mehr der Situation vor Ort." Und Anwältin Haas sagt: "Wir werden prüfen lassen, ob das Gebiet, das man zur Berechnung einbezieht, so korrekt ist. Es ist das gute Recht eines jeden, beleuchten zu lassen, ob das, was die Verwaltung macht, richtig ist."Extra

Bei der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) ist im Internet zu lesen: "Die KV RLP bemüht sich intensiv um die Niederlassung von neuen Vertragsärzten, um dem drohenden Ärztemangel zu begegnen." Für den Bereich Bernkastel/Traben-Trarbach gilt das nicht: "Hier ist das Gebiet gesperrt, da es eine Überversorgung gibt. Freie Sitze sind keine vorhanden", sagt KV-Pressesprecher Rainer Saurwein. Die Vergabe von Plätzen für Hausärzte regelt die KV durch ihren Bedarfsplan. Im Bereich Bernkastel/Traben-Trarbach sind 44 646 Einwohner die Grundlage. 1671 Einwohner pro Arzt werden als "versorgt" angerechnet. "Da hier der Anteil der über 65-Jährigen und der Leistungsbedarf auf Basis der Abrechnungen der letzten fünf Jahre der über 65-Jährigen höher ist, wurde die sogenannte Verhältniszahl angepasst". So kommt die KV zum Schluss, dass 1609 Einwohner durch einen Arzt abgedeckt sind. Im Durchschnitt liegt das Soll der Hausärzte für den Bezirk bei 27,79 - der momentane Stand errechnet 32,25 Ärzte.

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