Zwischen "Sippenhaft" und "politischem Prozess"

Landau · Im Prozess gegen den wegen Geheimnisverrats angeklagten Eifeler CDU-Landtagsabgeordneten Michael Billen hat die Staatsanwaltschaft ihre Vorwürfe gegen den 55-Jährigen abgemildert. Bei der 31-jährigen Tochter Billens stellen sich die beiden Ankläger allerdings stur.

Landau. Dieses Verfahren wird der Vorsitzende Richter Urban Ruppert wohl sein Leben lang in Erinnerung behalten. Normalerweise ist der erfahrene Jurist am Landauer Landgericht für die wirklich dicken Prozesse zuständig, Verbrechen also, bei denen den Angeklagten im Fall einer Verurteilung eine saftige Gefängnisstrafe droht. Der Fall Billen, den Ruppert seit Montag verhandelt, ist eigentlich unter seiner Würde, wenn man es überspitzt formuliert. Das ist juristischer Kleinkram, für den normalerweise ein Amtsgericht zuständig ist.
Urban Ruppert wollte den Fall Billen überhaupt nicht verhandeln, er bekam ihn von einem übergeordneten Gericht aufgedrückt. Jetzt muss der Vorsitzende Richter der Ersten Großen Strafkammer da durch, und der Unmut ist Ruppert seit dem Prozessbeginn am Montag anzumerken.
Auch am zweiten Verhandlungstag schimpft Ruppert wieder, kaum dass er den Prozess eröffnet hat. Da habe ihn doch tatsächlich am Vortag jemand aus dem Innenministerium, Abteilung Datenschutz, angerufen. "Mir hat sich der Sinn des Gesprächs nicht erschlossen. Ich habe es nach einigen Floskeln wieder beendet", fasst er für die Zuhörer im Gerichtssaal das Telefonat zusammen.
Später, während einer Prozesspause, wird Ruppert in der Kantine deutlicher. "Wenn mich jemand im laufenden Verfahren anruft, ist das eine Unverschämtheit", sagt er einem Journalisten, "da bekomme ich sonst einen Tobsuchtsanfall." Es ist in der Tat ungewöhnlich, dass sich ein Ministerium während eines laufenden Prozesses äußert, auch wenn es zuvor heftig attackiert wurde. Aber in dem Billen-Verfahren, das sich inzwischen über annähernd zwei Jahre hinzieht, scheinen die Maßstäbe ohnehin längst verrutscht zu sein.
Da sind zum Beispiel die Ermittlungen gegen Billens Tochter, eine 31-jährige Polizistin. Sie hat von Beginn an eingeräumt, die geheimen Polizeidaten über Geschäftspartner der Landesregierung beim Ausbau des Nürburgrings abgefragt zu haben. Ein Fehltritt, den auch eine andere Kriminalbeamtin begangen hat, um dem später zurückgetretenen CDU-Landtagsabgeordneten Peter Dincher einen Gefallen zu tun. Das Strafverfahren gegen die Frau wurde eingestellt, im Disziplinarverfahren kam sie mit einer Rüge davon. Billens Tochter ist dagegen seit knapp zwei Jahren vom Dienst suspendiert. Einen Antrag ihres Verteidigers Daniel Schacht, das Verfahren gegen die Frau endlich einzustellen, lehnen die Landauer Staatsanwälte am Mittwoch nach kurzer Beratung ab. "Wir haben den Eindruck, dass sie mehr weiß als sie sagt", rechtfertigt sich Oberstaatsanwalt Hubert Ströber, worauf der Vorsitzende Richter mal wieder Dampf ablässt: "Die Tochter ist in Sippenhaft mit ihrem Vater", sagt Urban Ruppert, der bereits andeutet, dass sich die 31-Jährige über das für heute erwartete Urteil keine Gedanken machen muss. Es läuft wohl auf eine Einstellung des Verfahrens maximal gegen eine Geldauflage hin-aus.
Und was droht "Sippenchef" Michael Billen? Möglicherweise das Gleiche, meinen Prozessbeobachter und verweisen auf das Schicksal von Billens Ex-Fraktionskollege Peter Dincher, dem eine befreundete Kripobeamtin die Polizeidaten einst besorgt hatte. Das Verfahren gegen ihn wurde gegen eine Geldauflage von 4500 Euro eingestellt.
Weil sich auch diese Ermittlungen so lange hinzogen, obwohl Dincher von Beginn an alles eingeräumt hatte, ist sich der 45-Jährige heute sicher: "Ich war passiver Teilnehmer an einem politischen Prozess. Mein Vertrauen in die rheinland-pfälzische Justiz ist zutiefst erschüttert", sagt der als Zeuge geladene Dincher am Mittwoch vor Gericht. Gut möglich, dass nach der Latte an Vorwürfen nun auch im Mainzer Justizministerium an einer Erklärung zum laufenden Billen-Prozess gebastelt wird. Einen Anruf beim Vorsitzenden Richter können sich die Ministeriellen aber sparen. Der Vorsitzende Richter reagiert bekanntlich allergisch darauf.

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