Ein Stück Kultur geht verloren

ZEMMER-SCHLEIDWEILER. Mit dem Jahreswechsel ist in Schleidweiler eine Ära zu Ende gegangen. Nach 50 Jahren hinter dem Verkaufstresen hat Karoline Gaspers ihr Lebensmittelgeschäft nahe der Kirche für immer geschlossen.

Ein bisschen wehmütig steht Karoline Gaspers vor den fast leeren Regalen, die früher alles beherbergten, was im täglichen Leben gebraucht wurde. "Wir haben einfach alles geführt: Nägel, Textilien, Wurst, Zeitschriften und vieles mehr," erzählt die Inhaberin. Könnten die Einrichtungsgegenstände sprechen, würden sie, genau wie die Frau vor ihnen, einen Bilderbogen bunten Zeitkolorits entwerfen.Da stehen noch die alten Schubladenschränke aus der Zeit vor Karoline Gaspers. Onkel und Tante führten damals, Ende der 30-er Jahre, das Geschäft. Die Tante war Tochter eines Lehrers und hieß Christina. Im Sprachgebrauch des Dorfes wurde daraus der Hausname für den Laden "Schula Dina." "Dieser Name wurde bis heute noch verwendet. Wenn jemand etwas brauchte, hieß es: "Ich gehe mal zu Schula Dina," berichtet Karoline Gaspers. Sie selbst ging von 1953 bis 1956 bei ihrer Tante in die Lehre und übernahm hinterher das Geschäft.Auch aus dieser Zeit gibt es Einrichtungsgegenstände, denn der Laden wurde vergrößert. "Es gab viele neue Produkte. Die Zeit, in der Hering aus dem Fass gekauft oder Senf für zehn Pfennig aus dem Eimer gepumpt wurde, ging damals zu Ende." Was blieb, war die zentrale Rolle, die der Laden für das Dorfleben spielte. "Hier wurde das Ortsgeschehen zusammen getragen, wer gestorben war, wo ein Kind geboren wurde, wer wen heiratete", erinnert sich die Inhaberin, "Klatsch und Tratsch eben, aber der ist wichtig für eine Gemeinschaft. Manche Kunden kamen hauptsächlich deshalb. Andere kauften hier ihren Korn und tranken ihn mit Gleichgesinnten." Tagtäglich war Karoline Gaspers für ihre Kunden da. Sogar am Wochenende kam so mancher an die Hintertür, wenn ihm zu Hause etwas fehlte. "Vor zehn Jahren habe ich zum ersten Mal Urlaub gemacht. Sie glauben gar nicht, was das für einen Aufruhr gab," erzählt Gaspers. "Denen, die gar kein Verständnis hatten, habe ich gesagt: Ich habe wegen Reichtums geschlossen."Was die Summe persönlicher Erfahrungen anging, hatte sie sogar Recht. Materiellen Reichtum konnte die rührige Frau aber vor allem in den letzten Jahren nicht erwirtschaften. "Es hat sich Vieles verändert. Die jungen Leute sind mobil und bringen ihre Lebensmittel von woanders mit. Manche der alten Leute, die hierher kamen, leben nicht mehr. Und die Lieferanten sind nicht mehr bereit, kleine Mengen abzugeben. So kann man heute nicht existieren."Ihren Laden schließt sie mit einem lachenden und einem weinenden Auge. "Das Persönliche wird mir fehlen, die vielen Gespräche und die lieb gewordenen Stammkunden. Aber die nächsten Aufgaben warten schon." Ihr zweijähriger Enkel, das Haus und der Garten werden Karoline Gaspers fortan auf Trab halten. Blumen und eine Würdigung für ihren ein halbes Jahrhundert währenden Einsatz erhielt sie zum Abschied von Ortsbürgermeister Winfried Wollscheid, dessen Biografie ebenfalls mit Erinnerungen an den Laden verwoben ist. "Es ist sehr schade, dass Sie schließen. Damit geht ein Stück Dorfkultur verloren," bedauert er.

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