Gesellschaft Auch subtiler Antisemitismus verbreitet Hass und Rassismus

Saarburg · Ein Vortrag an der Geschwister-Scholl-Schule hat Antisemitismus in rechter Musik beleuchtet – denn er ist nach wie vor präsent. Aus Furcht vor Rache tritt der Referent mit falschem Namen auf.

 Der Antisemitismus-Beauftragte des Landes Rheinland-Pfalz, Dieter Burgard, führt die Schüler in das Thema und den Vortrag ein.

Der Antisemitismus-Beauftragte des Landes Rheinland-Pfalz, Dieter Burgard, führt die Schüler in das Thema und den Vortrag ein.

Foto: Martin Recktenwald

Manchmal versteckt er sich hinter scheinbar harmlosen Formulierungen, dann tritt er wieder offen als Gewalt zu Tage – Antisemitismus gibt es in vielen Formen, immer noch. Bei einem Vortrag an der Geschwister-Scholl-Schule in Saarburg hat der Politikwissenschaftler Timo Bücher den Blick auf die Einstiegsdroge Nummer 1 in die Neonazi-Szene gelenkt: den Rechts-Rock. Titel der Veranstaltung: „Weltbürgertum statt Vaterland – Antisemitismus im Rechts-Rock“. Beim Rechts-Rock wird die Musik als Vehikel für rechtsextremes und neonazistisches Gedankengut genutzt.

Bücher weiß, wovon er den Schülern berichtet. Aufgewachsen ist er im ländlichen Teil Baden-Württembergs. Dort hat er in seiner Jugend selbst erlebt, wie Neonazis versuchen, über die Musik Menschen für ihre Weltanschauung zu gewinnen. Bei Bücher funktioniert das nicht. Mit Folgen: Sein Widerstand dagegen hat ihm viele Feinde beschert, so dass er mittlerweile öffentlich mit geändertem Namen auftritt.

„Mit 14, 15 ist man zu den Partys im Jugendhaus gegangen. Ab 22 Uhr lief dann nicht selten Rechts-Rock-Musik“, erzählt er den rund 60 Schülern in Saarburg, die zwischen 15 und 25 Jahren alt sind. In dieser Musik, die keineswegs nur Rock, sondern auch Rap und andere Stilarten verwendet, sind die Botschaften mitunter sehr eindeutig.

So forderte die Gruppe Tonstörung in einem 1992 veröffentlichten Lied zum Töten auf: „Wetzt die langen Messer auf dem Bürgersteig/Lasst die Messer flutschen in den Judenleib/Blut muss fließen knüppelhageldick/und wir scheißen auf die Freiheit dieser Judenrepublik.“ Doch so klar zeigten die Rechtsradikalen ihre Absichten mittlerweile meist nicht mehr. Und die kruden Verschwörungstheorien wirken laut Bücher viel weiter als nur in der Neonazi-Szene. So verwendete der erfolgreiche Rapper Kollegah in seinem Musikvideo „Apokalypse“ als Verkörperung der „bösen Mächtigen im Hintergrund“ einen Mann, der einen Ring mit dem jüdischen Davidstern am Finger trägt. „Das macht Kollegah noch nicht zum Neonazi, aber es trägt dazu bei, Vorurteile zu verbreiten“, meint Bücher. Er forderte die Schüler auf, bei Liedtexten genau hinzuhören und auch kritisch zu fragen, welche Botschaft transportiert wird. Kollegahs Alben erreichen regelmäßig Platz eins der deutschen Musikcharts.

Außerdem kommt die Deutschrock-Gruppe Freiwild zur Sprache, die 2012 die an ihnen geäußerte, öffentliche Kritik in einem Song verarbeitete: „Heut‘ gibt’s den Stempel, keinen Stern mehr.“ Ein solcher Vergleich sei schräg und geschmacklos: „Eine erfolgreiche Band mit eigenen Festivals und goldenen Schallplatten vergleicht ihr Schicksal mit dem von sechs Millionen Ermordeten im Holocaust.“ In der Schülerrunde, die zwar aufmerksam zuhört, sich aber kaum zu Wort meldet, stößt diese Betrachtung nicht auf ungeteilte Zustimmung.

Einige Mädchen, die sich zu den Fans der Band Freiwild zählen, meinen: „Man kann die Band doch nicht komplett verurteilen nur wegen der einen Textzeile.“ Doch Bücher differenziert durchaus: Er zählt die Gruppe keineswegs zum Rechts-Rock, mahnt aber dennoch zu einem wachsamen Blick. Auch scheinbar harmlose Grenzverletzungen könnten denen helfen, die einer Welt des Hasses den Weg ebnen wollen.

Schon seit viele jugendgefährdende Lieder Anfang der 1990er Jahre verboten wurden, setze die Szene auf Tarnung. Statt Juden direkt zu benennen, bedienten die Musiker sich Zuschreibungen und Stereotypen. Manches davon reicht Jahrhunderte zurück, wie Bücher erläutert. Beispielsweise die mittelalterlichen Pogrome gegen Menschen jüdischen Glaubens als vermeintliche Verursacher der Pestwellen. Als man in späteren Zeiten erkannte, dass die Krankheit mit Ratten eingeschleppt worden war, knüpften Antisemiten daraus erneut eine menschenverachtende Verbindung und setzten Juden mit Ratten gleich.

Auch Verschwörungstheorien rund um Freimaurer, die Geheimgesellschaft Illuminaten oder die nachweislich gefälschten „Protokolle der Weisen von Zion“ spielten eine große Rolle. Die Protokolle geben vor, geheime Dokumente eines angeblichen Treffens von jüdischen Weltverschwörern zu sein. Bücher: „Die Erzählung ist immer dieselbe: Es gibt eine kleine Gruppe mächtiger Juden, die die Weltherrschaft anstreben.“

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