Wenn der ruhige Rathaus-Chef plötzlich radikal wird

KELL AM SEE. Die Verbandsgemeinde Kell am See gehört zu den Kommunen, die einen streng kaufmännischen Kosten-Nutzen-Test nicht bestehen würden. Doch die Daseinsberechtigung einer Verwaltung wird durch ihre Aufgaben definiert - so sieht es Bürgermeister Werner Angsten. Deshalb: "Strukturreformen sind erforderlich, dringend und unausweichlich."

 Werner Angsten fordert Reformen, die untere kommunale Ebenen nicht streichen, sondern stärken sollen.Foto: Hans Muth/Montage: Friedemann Vetter

Werner Angsten fordert Reformen, die untere kommunale Ebenen nicht streichen, sondern stärken sollen.Foto: Hans Muth/Montage: Friedemann Vetter

Ebenso unausweichlich scheint die Frage, ob sich eine Verwaltung lohnt, die für 10 400 Einwohner von 13 kleinen Ortsgemeinden zuständig ist, und deren 23 Vollzeit- und fünf Teilzeitkräfte pro Jahr 1,3 Millionen Euro kosten. Auch die geographische Verteilung der einzelnen Gemeinden provoziert die These, dass eine Auflösung der VG-Verwaltung Kell und eine Zuordnung der 13 Orte zum direkten VG-Nachbarn Hermeskeil die Bewohner des ländlichen Hochwaldraums nicht um die Nachtruhe bringen würde, denn sie sind lange Anfahrten gewöhnt.Da geht Angsten zum Angriff über

Bürgermeister Werner Angsten, im Alltagsgeschäft kein Freund von Lautstärke oder Aggressivität, verzichtet auf eine Verteidigung seiner kleinen VG und geht sofort zum Angriff über. Dieser gilt den mittleren und höheren Verwaltungsebenen. "Der Staat sollte sich nicht überall einmischen, sondern nur das Nötige tun." Angsten fordert eine Aufgabenkritik. Die Verschiebung von Aufgaben und Kompetenzen von der höheren Ebene auf die kleine VG bringt seiner Ansicht nach genau dann die wenigsten Komplikationen, wenn man diese höhere Ebene ganz einfach abschafft. Selten erlebt man den Keller Rathaus-Chef derart radikal: "Die Struktur- und Genehmigungsdirektion (SGD) und die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) sind überflüssig." Auf die regionale Planungsgemeinschaft könne man ebenfalls verzichten. Angstens Folgerung: "Die Selbstverwaltung der kommunalen Ebene von der Ortsgemeinde bis zum Landkreis würde dadurch massiv gestärkt." Der Folgerung folgt eine Überzeugung: "Hätten die Römer die hohen Standards, Verwaltungsvorschriften, Rundschreiben und Förderungsrichtlinien der heutigen Zeit gehabt, wäre die Porta Nigra nie entstanden." Dabei hat die Region mit der Auflösung der Bezirksregierungen bereits eine Mittelbau-Reform hinter sich gebracht. Angsten: "Diese Auflösung veränderte ausschließlich die Behördenstruktur ohne Aufgabenkritik oder Zuständigkeitsdebatte." Aufgaben mit Bürger-Service-Funktion gehören auf die Kreis- und Ortsstufe: "Wir müssen weg vom Zuständigkeits- und Behördenwirrwarr, weg von langwierigen Beteiligungsverfahren und hin zu mehr Selbstverwaltung und praktizierter Bürger- und Verwaltungsfreundlichkeit." Und was geschieht mit dem frei werdenden Personal nach Auflösung der SGD Nord und der ADD? "Dieses sollte als untere Behörde der allgemeinen Landesverwaltung für überörtliche staatliche Aufgaben zur Verfügung stehen." Es würde nichts bringen, die Verbandsgemeinden Hermeskeil und Kell am See unter das Banner einer gemeinsamen Verwaltung zu stellen, betont Angsten. "Ich habe persönlich vor mehr als 30 Jahren die territoriale Verwaltungs- und Gebietsreform erlebt. Ein derartiger Schritt trägt nicht zur Sanierung der desolaten Finanzlage bei." Ein höherer Anteil der Gemeinden am Steueraufkommen sei nötig. "Der Verbandsgemeinde Kell am See stehen jährlich durch mangelhaften kommunalen Finanzausgleich 270 000 Euro weniger zur Verfügung" - obwohl die kommunalen Aufgaben ständig steigen. Angstens Fazit: "Lassen wir die wichtigen kommunalpolitischen Entscheidungen und die Selbstverwaltung vor Ort." Die VG-Verwaltungen haben sich als Instrumente der "unmittelbar demokratisch geleiteten und kontrollierten Bürgerverwaltung" bewährt.Zugbrücken hochziehen

Es folgt ein weiterer kurzer Aggressions-Schub: "Es kann nicht sein, dass durch die desolate Wirtschaftspolitik des Bundes gewachsene Verwaltungsstrukturen in Frage gestellt werden." Angsten ist offenbar bereit, sofort die Zugbrücken hochzuziehen, wenn seine Verwaltung in Frage gestellt wird - dennoch will er die Brücken zum Nachbarn Hermeskeil nicht abbrechen. "Die Zusammenarbeit zwischen zwei Verwaltungen sollte verstärkt werden, ohne gleich die Berechtigung und Lebensfähigkeit einer der beiden Ebenen in Frage zu stellen." Gibt es denn eine derartige Zusammenarbeit zwischen Kell am See und Hermeskeil? "Konkrete Formen sind bereits erarbeitet." Beispiele? Angsten nennt die Jugendarbeit, den Fremdenverkehr und die Verbandsgemeindewerke. "Die 40 Jahre alte Annahme, jede Verbandsgemeinde sei für die eigene Wasserversorgung zuständig, ist bei dem heutigen Kostendruck überholt."

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