Zwischen Weinbergen, Flieten und Mahnmalen

Vierherrenborn/Saarburg/Wincheringen · In zwölf Etappen reisen zwölf Volksfreund-Reporter von A wie Aach bis nach Z wie Zewen - einmal quer durch die Region Trier. Ihr Ziel ist es nicht nur, die eigensinnige Schönheit von Eifel, Mosel und Hunsrück zu ergründen und etwas Typisches zu essen. Sie machen sich auch auf die Suche nach dem Sinn des Lebens. Etappe 11 einer ungewöhnlichen Sommerreise.

Die Sommerreise beginnt mit den Tücken der Technik. Das geliehene Navigationsgerät in meinem klapprigen Opel Corsa funktioniert nicht wie erhofft. Ich seufze. Ein Dilemma für ein geborenes Nordlicht wie mich, das im flachen Ostfriesland aufgewachsen und zwischen den Bergen orientierungslos ist. Egal, denke ich, und fahre los. Ich lasse mich mit Musik von Udo Lindenberg trösten ("Hinter dem Horizont geht\'s weiter"), bringe einen Mofafahrer mit meiner Schrittgeschwindigkeit und ausdauerndem Blick auf die Ortsschilder zur Verzweiflung - und finde meine Startetappe Vierherrenborn nach einer kurvigen Fahrt.
Am beschaulichen Vierherrenbrunnen fühle ich mich an Astrid-Lindgren-Bücher erinnert: An der Straße stehen Apfelbäume, auf den Weiden Kühe, in einem Garten sogar Schafe. Hier tanke ich Kraft, um dann über die Ockfener Weinberge, den Wasserfall von Saarburg und Maisfelder von Merzkirchen nach Wincheringen zu gelangen - mit vielen Geschichten im Gepäck.

Einen Lieblingsplatz finden: In Ockfen faszinieren mich die Weinberge, die mächtig am Kopfe des Dorfes thronen. Ich stelle das Auto ab und kraxle hoch. Nach einer Weile treffe ich auf Gerhard Klein und Stefan Andreas Fischer. Sie machen Pause von ihrer Arbeit in den Bergen, sitzen in einem alten VW-Bus und schimpfen über die Bedrohung des Atomkraftwerkes Cattenom, das sich in Sichtweite befindet. "Die Menschen lernen nie aus Fehlern", sagt Klein traurig. Als ich von meiner Wanderung erzähle, hellen sich die Gesichter auf. Klein reicht mir eine Flasche Sprudel und empfiehlt mir, bis zum Gipfelkreuz des Ockfener Bocksteins zu marschieren. Ich ziehe weiter, muss aber nicht die höchsten Höhen erklimmen, um von dem Anblick aus den Weinbergen verzaubert zu werden. Das Dorf, die Saar, Saarburg - der Horizont reicht von hier aus wirklich ganz weit in die Ferne. Ich schieße ein Foto und verweile in dem Augenblick.

Etwas möglichst Typisches essen und trinken: In Ockfen knurrt mir der Magen. Doch ich habe Glück. Gerhard Klein führt eine Weinstube, in der er Flieten anbietet. Am Abend tauche ich in seiner urigen Kneipe auf, in der Männer an der Theke über gegenwärtige ("Der Schweinsteiger ist wieder so lange verletzt.") und alte ("Als Hans-Peter Briegel für den 1. FC Kaiserslautern spielte, hat sich ein Besuch auf dem Betzenberg noch gelohnt.") Fußballhelden diskutieren. Ich bestelle zehn von den frittierten Hähnchenflügeln, die mir angepriesen werden, bekomme Brot dazu und trinke Viez. Salzig und süß, die Mischung lässt mir das Wasser im Mund zusammenlaufen. Das Geheimrezept für die knusprige Mahlzeit behält Köchin Mathilde Klein aber für sich. "Wenn ich auch sonst vieles verraten würde - das verrate ich niemals."

Eine Sehenswürdigkeit bestaunen: Es ist auf den ersten Blick nur eine kleine Kapelle, die am Rande eines Feldweges des Dorfes Kahren steht. Aber hinter ihr steckt eine fantastische Geschichte. Als ich auf Johann Hirt treffe, entpuppt sich der Landwirt zufällig als Besitzer der schmucken Sehenswürdigkeit, die 1874 entstanden ist. "Mein Uropa hat im Deutsch-Französischen Krieg im Schützengraben gelegen. Er hat sich geschworen, in seinem Heimatort mit eigenen Händen eine Kapelle aufzubauen, wenn er dort lebend rauskommt. Er hat Wort gehalten", erzählt Hirt, der das Bauwerk als Nachfahre gewissenhaft pflegt.

Mit jemandem über den Sinn des Lebens reden: Wer kennt sich wohl besser mit dem Sinn des Lebens aus als Mary Hemmerling? Sie führt in Merzkirchen ein Pilger-Hotel. Täglich trifft sie Menschen, die auf dem Jakobsweg auf der Suche nach sich selbst sind und sogar Geistliche, die wegen der Liebe am liebsten ihr Zölibat aufgeben würden. Das Patentrezept, worauf es im Leben ankommt, kennt Hemmerling aber nicht. Wie auch? "Das muss jeder Mensch für sich selber herausfinden. Jeder hat einen anderen Sinn", findet sie. So sieht die Gastronomin ihr Glück darin, den Geschichten anderer zu lauschen, für die Familie da zu sein und sich über Erfolgserlebnisse anderer zu freuen. "Man muss auch gönnen können."

Ein Andenken mitbringen: Rot, rot, rot sind alle meine Andenken. In Vierherrenborn pflücke ich am Straßenrand einen wunderschönen Apfel, kassiere dafür aber vorwurfsvolle Blicke von umstehenden Kühen. In Saarburg will ich eine Erinnerung an das Jubiläum anlässlich 1050 Jahren Stadtgeschichte kaufen. Am rauschenden Wasserfall, an dem Touristen entspannt Wein trinken, besorge ich mir in einem Laden ein T-Shirt. In Bordeauxrot. "Das ist bei jungen Leuten momentan beliebt", sagt die Verkäuferin und gibt mir einen mütterlichen Rat: "Nur bei 30 Grad waschen". Zuletzt schenkt mir Mary Hemmerling, die in Merzkirchen eine von vielen Schnapsbrennereien betreibt, einen Kirschlikör. Mit vollen Händen komme ich am Ende in Wincheringen an. Der Ärger mit dem Navi ist vergessen - und Udo Lindenberg hatte recht. Hinter dem Horizont ging es tatsächlich weiter.

Ausblick: Die nächste und letzte Etappe führt von Wincheringen nach Zewen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort