SPD nimmt Kurs auf Integrierte Gesamtschule (mit Video)

Trier · Die SPD nimmt klaren Kurs auf die Einrichtung einer Integrierten Gesamtschule (IGS) in Trier. Ein offener Parteitag im Bürgerhaus Ehrang stellte entsprechende Weichen. Alle eingeladenen Experten plädierten außerdem dafür, auch behinderte Schüler umfassend in die neue Schulform einzubinden.

Rund 90 Interessierte waren der Einladung zu dem nicht nur für Mitglieder gedachten Parteitag gefolgt - der Altersschnitt lag deutlich unter der üblichen Besetzung bei solchen Partei-Veranstaltungen. Formale Beschlüsse wurden nicht gefasst, aber inhaltliche Tendenzen waren deutlich erkennbar.

So streben die Trierer Sozialdemokraten offensichtlich keine "Gesamtschule light" an, also keine bescheidene Erweiterung vorhandener Schulen um einen kleinen Gesamtschul-Zweig. Was Theresia Görgen (Initiative "Eine Schule für alle"), von SPD-Chefin Malu Dreyer deutlich ermuntert, skizzierte, ist eine Art "Turbo-Gesamtschule": Beginnend in enger Kooperation mit einer Kindertagesstätte über eine angegliederte Grundschule mit flexiblem Einschulungsalter bis hin zu einem kompletten Angebot in den Sekundarstufen 1 und 2. Mit Gruppen, in denen die Schüler nicht nur leistungs-, sondern auch altersmäßig gemischt werden. Bei letzterem blickte mancher Delegierte denn doch etwas skeptisch drein.

Uneingeschränkte Zustimmung erntete Peter Aymanns von der Initiative "Gemeinsam lernen" für sein leidenschaftliches Plädoyer zugunsten der Einbindung behinderter Schüler in den "normalen Schulalltag". Ebenso wie Erni Schaaf-Peitz von der Integrativen Kindertagesstätte Wittlich-Neuerburg legte Aymanns eindrücklich dar, dass nicht nur Kinder mit Behinderungen von gemeinsamen Lernen profitieren, sondern auch nicht-behinderte: "Sie kriegen bessere Lernchancen".

Bislang ist allerdings nach Aymanns' Einschätzung das gemeinsame Lernen "eine exklusive Veranstaltung für wenige". Die künftige Trierer Gesamtschule könnte da vor Ort für Besserung sorgen, aber nur, wenn die Konzepte stimmen: "Integration geht nur dann, wenn Schule sich verändert", so fassten Aymanns und Görgen ihre Erfahrungen zusammen.

Egal, ob an der IGS, in traditionellen Schulen oder in der vorschulischen Betreuung: Die Experten machten unisono deutlich, dass die Integration von Behinderten und Nicht-Behinderten, von leistungsstärkeren und leistungsschwächeren Schülern, von verschiedenen sozialen Milieus bessere Rahmenbedingungen voraussetzt: bei den Räumlichkeiten, der Sach-Ausstattung und dem Personalschlüssel.

Da applaudierte auch die Parteivorsitzende, wohlwissend, dass sie dafür am Mainzer Kabinettstisch ihrer für Schulen zuständigen Kollegin Doris Ahnen etliche Millionen rüberschieben müsste. Aber über Kosten und Kleingedrucktes sollte bei diesem Parteitag nicht diskutiert werden. So spielte auch das Trierer Schulentwicklungskonzept, auf dessen Basis eine IGS entwickelt werden müsste, nur eine Nebenrolle. "Es gibt ja noch keins", sagte Malu Dreyer auf kritische Nachfragen.

Kommentar


Es wäre toll, wenn interessierte Eltern in und um Trier bald die Chance hätten, für ihre Kinder eine Gesamtschule mit einem überzeugenden und konsequenten Konzept zu wählen - so wie es der SPD vorschwebt. Es klingt auch interessant, was man derzeit aus CDU-Kreisen hört: die Trierer Schulen ob der Nähe zu Luxemburg und Frankreich verstärkt europa-fit zu machen und Trier so zur "Bildungsstadt Nr. 1" in Rheinland-Pfalz zu profilieren.

Solche Möglichkeiten bietet das künftige Schulentwicklungskonzept zu Hauf. Aber der Runde Tisch, der es erarbeitet, hat sich auch der unangenehmen Kehrseite gestellt: Trier kann schon sein jetziges Schul-Angebot nicht bezahlen. 50 Millionen Sanierungsstau, dazu, schlimmer noch, eine ebenfalls im Millionenbereich liegende alljährliche Unterfinanzierung im laufenden Betrieb: Wer darauf keine Antwort hat, kann sich Wunschträume im Wolkenkuckucksheim sparen.

Die Parteien, so viel zeichnet sich schon jetzt ab, neigen dazu, sich die schönen Entwicklungsperspektiven des Konzepts je nach Denkrichtung anzueignen - und die schmerzhaften Nebenwirkungen erstmal nicht zur Kenntnis zu nehmen oder den Bürgern vor Ort zu versichern, dass es dazu gar nicht erst kommen wird. Das kann nicht funktionieren.

d.lintz@volksfreund.de

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